Mittwoch, 21. Juni 2023

Der Atem, Thomas Bernhard, Lukas Kummer (Graphic Novel)

Im dritten Band der von Lukas Kummer gestalteten Graphic Novels zu Thomas Bernhards autobiografischem Werk erleben wir den ca. achtzehnjährigen Thomas erneut in einer ihm verhassten Institution. Eine verschleppte Erkältung bringt ihm eine nasse Rippenfellentzündung ein. Dem Tode nahe wird er ins Krankenhaus eingeliefert, einer „Todesproduktionsstätte“ (S. 36). Dort findet er sich im „Sterbezimmer“ (S. 36) wieder, einem Raum mit sechsundzwanzig Betten, das so gut wie niemand lebend verlässt. Eines nachts wacht er im Badezimmer auf, in das die drei Kranken geschoben werden, deren Ableben als nächstes erwartet wird.

Thomas ist (wie schon in seiner Internatszeit im Krieg) überall vom Tod umgeben. Die letzte Ölung wird ihm erteilt, Särge werden aus dem Raum getragen, es röchelt und hustet um ihn herum. Doch dann kommt es zu einem Wendepunkt:

„Von zwei möglichen Wegen hatte ich mich in dieser Nacht in dem entscheidenden Augenblick für den des Lebens entschieden.“ (S. 21)

Der geliebte Großvater, der ebenfalls im Krankenhaus liegt, besucht den Jungen täglich und malt ihm seine Zukunft in den rosigsten Farben aus. Er versucht ein Gegengewicht zu schaffen zu dem Grauen von Tod und Verzweiflung, das im Sterbezimmer nur verwaltet wird. Wie schon im Internat beschreibt Bernhard eine unrühmliche Rolle der katholischen Kirche, einen Geistlichen, der die letzte Ölung am Fließband in abstoßender Weise erteilt und niemandem nützt.

Die Bilder dieser Graphic Novel sind faszinierend. Grau in Grau liegt das Krankenzimmer da, ein Patient gleicht dem anderen, alle sind ihrer Individualität beraubt durch die unmenschlichen Zustände in dieser Anstalt. Sicher nicht zufällig sieht der Ständer für die Infusionslösungen neben jedem Bett aus wie ein christliches Kreuz, ein vorweggenommenes Grab. Wenn man denn überhaupt so weit sehen kann. Thomas´ Deliriumszustände werden effektvoll dargestellt durch verschwommene Linien und Umrisse der Figuren, denn mehr kann der Junge nicht erkennen in seinem Fieber. Ungeahnte Wärme kommt in die Geschichte durch die Darstellung der sich verändernden Beziehung des jungen Thomas zu seiner ihn besuchenden Mutter. Diese ist plötzlich zugewandt, wird bildlich nicht mehr geistig abwesend am Rande, sondern in echtem Kontakt mit dem Sohn dargestellt, und das alles, ohne der gezeichneten Figur ein Gesicht zu geben.

Eine meisterhafte Graphic Novel über das Leben als Akt des Willens und eine menschenverachtende Krankenpflege, in der jeder sich allein zur Genesung kämpfen muss. Durch die Coronapandemie haben diese Bilder von massenhaft Kranken und Toten eine neue Aktualität bekommen. Ein empfehlenswertes Buch zum Tiefdurchatmen!

Der Atem, Thomas Bernhard, Graphic Novel gezeichnet von Lukas Kummer, Residenz Verlag, Salzburg, 2021, 112 Seiten, 22,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)

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