Vor allem die erste Hälfte des Buches ist ein Sinnenschmaus, da Tee in den ersten Geschichten eine wirklich tragende Rolle spielt. In manchen späteren Geschichten kommt das Getränk manchmal nur am Rande vor. Schön sind die Erzählungen aber alle.
In „Nicht die Bohne“ (S. 9 ff) spricht Jan Brandt die verbreitete Schwierigkeit der deutschen Teetrinkerin an, in der Öffentlichkeit überhaupt an eine passable Tasse des Lieblingsgetränk zu kommen. Denn oft – Friesland einmal ausgenommen – gibt es dutzende Kaffeespezialitäten in deutschen Cafés und Gaststätten, aber nur ganz unten auf der Karte den kurzen Hinweis auf schwarzen Tee. Ja, um Himmels Willen, möchte frau ausrufen, WAS für schwarzer Tee?? Darjeeling, Assam oder Ceylon? Ist er aromatisiert wie ein Earl Grey oder ein astreiner First Flush? Und was ist mit grünem Tee? Als ob Tee ein Allerweltsgesöff wäre, bei dem die Sorten austauschbar wären.
Verstanden fühle ich mich auch von Jardine Libraire und Amanda Eyre Ward, welche die wahre Poesie des Tees auszudrücken wissen in „Imperial Dragonwell“:
„Hunderte von Hand beschriftete Teekisten in den Regalen – es war Verführung am helllichten Tag. Allein die Namen – Blackwood Ceylon, Heavenly Blue Peak, Himalayan Snowflake, Volcano Flower Burst – waren so was Ähnliches wie poetische kulinarische Pornographie. (…) Beim Tee geht es ums Zeremoniell und die feinen Nuancen. Es ist himmlisch, den Dampf einzuatmen, der aus der Tasse aufsteigt. (…) Wir lieben die gläsernen Teekannen, in denen man beobachten kann, wie ein hartes, getrocknetes Jasminkügelchen langsam im heißen Wasser aufblüht und dabei aussieht wie ein wildes Herz.“ (S. 21)
Abgesehen von der Beschreibung des Tees hat mich eine Kurzgeschichte von Katherine Mansfield am meisten in ihren Bann geschlagen, sie heißt „Psychologie“ (S. 117 ff). Den Inhalt muss ich leider für mich behalten, da sie sonst ihren Zauber verlieren würde. Aber Mansfield muss eine kluge Frau gewesen sein, schon weil sie in der Geschichte anmerkt, dass mancher Kuchen, der zum Tee gereicht wird, so gut ist, dass er es verdient hätte, in der Genesis erwähnt zu werden:
„Und Gott sprach: ‚Es werde Cake!‘ Und es ward Cake. Und Gott sah, dass es gut war.“ (S. 120)
Meine absolute Lieblingsstelle! Es gibt in diesem Buch diverse berühmte Autorinnen und Autoren zu entdecken. Die Sammlung geht von George Orwell, Dorothee Parker, Erika und Klaus Mann über Doris Dörrie, Frank Berzbach bis hin zu Banana Yoshimoto. Da dürfte für jede/n etwas dabei sein.
Wer über der Lektüre einzunicken droht, dem empfehle ich den Genuss eines anregenden japanischen Gyokuro. Unnötig zu erwähnen, dass ich während des Verfassens dieser Zeilen an einer Teetasse nippe (einer dünnwandigen, weißen mit Untertasse natürlich), denn ich halte es mit Alice im Wunderland, die schon auf dem Vorsatz zu diesem Band sagt: It´s always tea time.“
Setzt den Kessel auf, spült die Kanne heiß aus und kuschelt Euch in Euren Lieblingssessel. Lasst Euch umgarnen vom feinsinnigsten Getränk der Welt, dessen Duft aus den Seiten dampft und taucht ein ins Leben, das nur mit einer guten Tasse Tee zu bewältigen ist. Es lohnt sich!
Tee – Geschichten zum Entspannen, ausgewählt von Kati Hertzsch (diverse Autor:innen und Übersetzer:innen), Diogenes Verlag, Zürich, 2022, 240 Seiten, 14,00 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)
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