Das Buch beschäftigt sich zunächst allgemein mit der Frage, was ein Trauma eigentlich ist, welche Folgen es hat und welche Ausprägungen eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) haben kann. Sodann folgt die Struktur des Buches dem Ablauf, dem sich Betroffene stellen müssen, wenn sie sich als traumatisiert einstufen.
Zuerst gilt es auf die schwierige Suche nach einer Therapeutin oder einer passenden Klinik zu gehen. Die verschiedenen Therapiearten werden genauso erläutert wie die Frage der Finanzierung durch Krankenkassen oder Rentenversicherungsträger. Hier gibt die Autorin handfeste praktische Tipps nebst Musterschreiben und Hinweisen für ein Begutachtungsverfahren.
Die Traumatherapie selbst gliedert sich in verschiedene Phasen, die einzeln und detailliert beschrieben werden. Großen Raum nimmt die Stabilisierung als erste Phase ein. Sie dürfte für Betroffene auch das Hauptziel der Therapie sein, also sich wieder sicher (bzw. sicherer) zu fühlen und den Alltag wieder bewältigen zu können.
Zur Stabilisierung gehören Themen wie Selbstachtung und Selbstfürsorge, das Erlernen von Skills (also Techniken zur Symptomkontrolle) sowie die Identifikation der eigenen Ressourcen. In diesem Zusammenhang werden die einzelnen möglichen Symptome und die hierzu einsetzbaren Therapiemethoden wie Imaginationsübungen und Körpertherapien erläutert. Detailreich werden z.B. „Der sichere Ort“ oder die „Tresor-Übung“ beschrieben, und zwar nicht, um sie aus diesem Buch zu lernen, sondern um deren Sinn deutlich zu machen und die Angst vor den Übungen zu nehmen.
Als zweite Therapiephase folgt die Traumaexposition, also die Konfrontation mit den eigenen traumatischen Erlebnissen und Erinnerungen. Die Autorin erklärt das Für und Wider, überhaupt eine Exposition vorzunehmen sowie die verschiedenen Techniken der Exposition (z.B. EMDR) nebst ihrer Risiken. Zuletzt folgt die Phase der Traumaintegration und die Frage, ob es eine Heilung insbesondere von einer komplexen PTBS geben kann.
Die besondere Stärke des Buches besteht darin, dass es aus Sicht einer Betroffenen alle auftretenden Fragen anspricht, und zwar in der Reihenfolge, in der sie sich stellen. Alle Kapitel sind aber auch unabhängig voneinander lesbar, so dass man keinesfalls das ganze Buch im Zusammenhang lesen muss. Realistisch werden die praktischen Probleme bei der Therapeutinnensuche beleuchtet sowie die Schwierigkeit, dass gerade bei Traumatisierung diverse Krankheitsbilder nebeneinander vorliegen können (insb. Depression und Sucht spielen neben der PTBS eine Rolle). Schon die Entscheidung für eine bestimmte Therapierichtung kann überfordernd sein. Die Autorin nimmt die Leserin an jeder Stelle an die Hand, berichtet von ihren eigenen Schwierigkeiten und zeigt auf, dass diese Überforderung völlig normal ist. Gleiches gilt für die Zeit während der Therapie. Sarah Frischke weiß aus eigener Erfahrung, wie überfordernd Therapie, ja sogar das bloße Spüren des eigenen Körpers sein kann.
Etwa zur Übung „Erfolge würdigen“, schreibt die Autorin:
„Mir half diese Übung vor allem bei der Selbstfürsorge. Gerade hier hatte ich noch viel nachzuholen und zu üben, was mich teilweise sehr große Überwindung kostete. Gleichzeitig konnte ich über diese Themen mit kaum jemanden in meinem privaten Umfeld reden. Denn für die meisten meiner Bekannten und Freunde war und ist meist nicht zu verstehen, wie viele Dinge im Alltag für mich eine Riesenhürde darstellten. Sie können nicht begreifen, welche Schuldgefühle z.B. eine warme Wärmeflasche früher bei mir auslösen konnte. Sie ahnen auch nicht, mit welchem inneren Kampf ich die eine oder andere warme Mahlzeit zu mir nahm. Aber gerade diese – nach außen vermeintlich kleinen und nebensächlichen – Erfolgserlebnisse erhielten durch diese Übung ihre Würdigung und gerieten bei mir damit nicht mehr in Vergessenheit.“ (S. 179)
Das Credo des ganzen Buches ist, dass Betroffene auf sich selbst vertrauen und Expertinnen für sich und ihre Erkrankung werden sollten, da jede PTBS sehr individuell ist. Jede Betroffene sollte in ihrem eigenen Tempo vorgehen, um eine Verschlimmerung der Erkrankung zu vermeiden und sich trauen, therapeutische Interventionen oder Behandlerinnen abzulehnen, die ihr nicht geheuer sind. Die Leserin weiß die Autorin zu jeder Zeit an ihrer Seite wie eine erfahrene Mitpatientin mit den gleichen Ängsten und Nöten, die ihr den Rücken stärkt.
An der fachlichen Richtigkeit der Ausführungen in diesem Buch besteht aus meiner Sicht kein Zweifel. Die Ausführungen werden in Fußnoten ausführlich mit Quellen der Fachliteratur belegt. Ein umfassendes Literaturverzeichnis im Anhang enthält sämtliche anerkannte Standardliteratur zum Thema (z.B. von Luise Reddemann und Michaela Huber), darüber hinaus aber auch Internetlinks zu Informationsquellen von Selbsthilfeorganisationen und Kliniken. Das Buch ist sprachlich präzise und nutzt Fachbegriffe, erklärt diese aber stets so, dass jeder Laie sie gut verstehen dürfte. Natürlich besteht für jede Betroffene das Risiko, durch das Lesen des Buches getriggert zu werden. Auf diese Gefahr wird im ersten Teil des Werks ausdrücklich hingewiesen. Jede Leserin ist dazu aufgerufen, sich selbstfürsorglich nur so viel Lektüre am Stück zuzumuten, wie es ihr guttut.
Dieses Traumahandbuch informiert Betroffene fundiert und empathisch wie ein Gespräch mit einer erfahrenen Mitpatientin. Diese Form ist in der Fachliteratur bislang einzigartig und ausgesprochen gelungen. Warum ein solches Buch im Selbstverlag erscheinen muss, ist mir unbegreiflich, da es einfach fehlt!
Ein kleines, feines Leben – Heilung durch Traumatherapie: Ein Handbuch für Überlebende, Sarah Frischke, Selbstverlag (Books on Demand), 2022, 336 Seiten, 15,99 EUR, ISBN 9783756213535
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis der Autorin. Ich danke der Autorin für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)
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