Die Themen der Geschichten sind unverkennbar Tove Ditlevsen! Sie spielen im Arbeiter- und Kleinbürgermilieu in Dänemark, wahrscheinlich um die Zeit ihrer Entstehung herum, also etwa in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Es geht um alltägliche Situationen, die fast immer aus der Perspektive von Frauen geschildert werden. Besonderes Augenmerk gilt der Rolle der Frau in Ehe und Familie. Zumeist wird ein düsteres Bild gezeichnet, in dem die (oft mittelalte) Frau sich schmerzvoll, zuweilen resigniert abzufinden hat mit einer wenig glücklichen Ehe. Eine Frau muss heiraten, um versorgt zu sein. Um den Mann zu behalten, muss sie auf dessen Launen und Erwartungen Rücksicht nehmen (einschließlich Toleranz für Ehebruch oder Trunksucht). Geht er, hat sie schnellstens einen neuen zu finden, mit dem es ihr kaum besser ergehen wird. Das Alleinleben einer Frau ohne Ehemann scheint keine realistische Alternative gewesen zu sein. So entsprach es wohl auch der Lebenswirklichkeit der Autorin, die in ihrem Leben viermal verheiratet war.
Allen Geschichten gemeinsam ist, dass sie nicht auf einen äußeren Handlungsablauf setzen, sondern auf das innere Geschehen ihrer Erzählerinnen. Zumeist geschieht gar nicht viel, aber eine kleine Sequenz ist mit großer Bedeutung aufgeladen durch die entsprechende Bewertung der Erlebenden.
Der Ton ist ganz anders als etwa in der Kopenhagen-Trilogie. Vielleicht ist der Schreibstil erst später zu der sehr bildhaften Sprache der Romane gereift. Wahrscheinlicher steht jedoch Absicht dahinter, den Ton der kürzeren Stücke nüchterner und sachlicher zu fassen. Dennoch teilt sich das Innenleben der Protagonistinnen sehr erlebbar und intensiv mit.
Besonders gefallen hat mir die erste Geschichte, „The Umbrella“. Helga, eine Ehefrau aus kleinen Verhältnissen, wünscht sich einen Regenschirm, also einen Gegenstand, der nicht zwingend zum Leben erforderlich ist. Als sie ihn endlich kaufen kann, führt er nur zu sehr kurzer, aber inniger Freude:
„Once she was inside, she opened the umbrella and skipped around the apartment with it. Her joy was pristine. She walked just like the woman in the yellow dress from her childhood. She walked past piles of dirty dishes, through large, bright rooms with palm trees in the corners and paintings on the walls. She entered an illuminated ballroom and remembered her first dance.“ (S. 16)
Den Verlust des Schirms sieht sie als Sinnbild dafür, dass es ihr eben nicht vergönnt ist, in einen besseren Zustand mit mehr Freude zu wechseln. Schon der erste Satz der Erzählung weist Helga die Schuld für ihr Ungemach zu:
„Helga had always – unreasonably – expected more from life than it could deliver.“ (S. 3)
Hervorzuheben ist ferner die letzte und titelgebende Geschichte des Bandes, „The Trouble with Happiness“. Sie beschreibt eine junge Frau, die Schriftstellerin werden und ohne Wissen ihrer Eltern ihre Gedichte veröffentlichen möchte. Dabei ist es ihr kaum möglich, einen Augenblick allein in der Familienwohnung zum Schreiben zu finden, da die mit den Eltern bewohnten Zimmer derart beengt sind. Hier findet sich eine Kurzversion dessen, was Tove Ditlevsen in „Kindheit“ und „Jugend“ über ihr eigenes Elternhaus geschrieben hat, in dem sie begonnen hatte zu schreiben. Es finden sich auch bekannte Details darin, wie etwa Toves nur durch einen Vorhang abgeteilten Schlafbereich im Wohnzimmer oder die Tante, deren Besuchen weit mehr Aufmerksamkeit gezollt wird als Toves Schreibversuchen.
Wie in anderen ihrer Werke zeichnet Tove Ditlevsen auch in ihren kurzen Erzählungen ein Gesellschaftsportrait der damaligen Zeit. Patriarchale Strukturen werden nicht nur selbstverständlich hingenommen. Die unglücklichen Frauen geben sich auch stets selbst die Schuld am Missverhalten ihrer Männer. Geht ein Mann fremd, so liegt das an der Unzulänglichkeit seiner Frau im Bett, war ein gängiges Erklärungsmuster der Zeit. Und wenn eine Frau etwas nicht versteht, wird das wohl daran liegen, dass sie zu dumm und unerfahren ist. Die Figuren äußern keine offene Kritik an den Verhältnissen. Ihre genaue Beschreibung und das Nachempfinden aus Frauensicht sind jedoch Anlass zum Nachdenken genug und sprechen für sich. Dies dürfte die enorme Popularität der Autorin vor allem bei weiblichen dänischen Lesern ihrer Zeit erklären. Ob männliche Leser der 50er Jahre einen Sinn in diesen Alltagsgeschichten sahen, weiß ich leider nicht.
Tove Ditlevsens Geschichten über Frauen in alltäglichen Situationen sind innig und auf den Punkt gebracht. Sie machen die Realität der Frau in den 50er und 60er Jahren erlebbar, und das teilweise so eindringlich, dass es mich friert. Der Stil zeigt eine ganz andere Facette der Autorin, die in den Romanen nicht zu finden ist. Sehr lesenswert!
The Trouble with Happiness and Other Stories, Tove Ditlevsen, aus dem Dänischen ins Englische übersetzt von Michael Favala Goldman, Penguin Books UK, 2022, 186 Seiten
(Die Rechte an der Covergestaltung liegen beim Verlag.)
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