Die Norwegerin Maja Lunde ist vielen als Autorin von Erwachsenenbüchern bekannt, sie schreibt aber auch wundervoll für Kinder. Derzeit erscheint nach und nach ein Jahreszeitenquartett von Bilderbüchern. Bereits 2018 ist der Winterband „Die Schneeschwester“ erschienen. Nun liegt der zweite Band vor, „Die Sonnenwächterin – Eine Frühlingsgeschichte“.
Wie schon der erste Band ist auch dieser großformatig, quadratisch und wunderschön ausgestattet. Er lebt neben der tiefsinnigen Geschichte von den wundervollen Illustrationen der norwegischen Künstlerin Lisa Aisato. Selten habe ich so ausdrucksstarke Bilder gesehen!
Die Geschichte, die das Mädchen Lilja uns erzählt, beginnt sehr trist. Lilja lebt in einer Welt ohne Sonnenschein. Die Tage sind düster und grau, ständig regnet es. Es gibt keine wechselnden Jahreszeiten, keinen Frühling. Aber nicht nur der Himmel ist grau. Auch die Menschen verkümmern unter diesen Umständen und werden fahl im Gesicht. Ebenso geht es den Pflanzen, die ohne Licht nicht wachsen können. Die Menschen hungern. Maja Lunde bringt also auch in ihrem Kinderbuch den Aspekt Umweltzerstörung ein, der eine so große Rolle in ihrem Klimaquartett für Erwachsene spielt, Kindern aber mindestens genauso wichtig sein dürfte.
Lilja lebt nur mit ihrem Großvater zusammen. Dieser liebt seine Enkelin sehr. Aber auf der kleinen Familie liegt eine große Traurigkeit, weil andere geliebte Menschen fehlen, die Eltern und Liljas kleiner Bruder. Lilja ist neugierig und will ihre Lebensumstände nicht einfach hinnehmen. Sie macht sich mutig auf die Suche nach einem Geheimnis. Denn irgendwoher kommen pflanzliche Lebensmittel in ihr Dorf. Wie ist das möglich? Sie entdeckt, dass es eine geheimnisvolle, etwas unheimliche Sonnenwächterin geben muss.
„Die Wärme umschloss meinen Körper, und es fühlte sich plötzlich an, als würde ich um mehrere Zentimeter wachsen. Das Gleiche geschah anscheinend auch mit den Pflanzen. Sobald das Licht auf sie fiel, passierten die unglaublichsten Dinge. Blütenknospen öffneten sich, an einem Busch sah ich Tomaten erröten, die Blaubeeren auf dem hügeligen Boden nahmen eine noch dunklere Färbung an, und die Apfelsinen an einem der Äste wurden intensiver orange.“ (S. 58)
Ab diesem Zeitpunkt explodieren plötzlich die Farben in diesem Buch! Licht und Blüten durchfluten die Seiten und die Geschichte! Das Leben kehrt zurück in die Gesichter. Ist nun alles gut? Nein, da sind wir erst bei der Hälfte des Buches. Sonne ist kein Allheilmittel. Auch davon kann es zu viel geben. Liljas Freundschaft mit Menschen und Tieren bringt sie dem Geheimnis des Frühlings näher, welches die Natur im Gleichgewicht hält.
Das Buch ist ein Erlebnis für alle Sinne. Der einfühlsame Text lässt uns den kalten Regen spüren, der uns den Rücken herunterläuft, den Geschmack einer frischen Karotte auf der Zunge schmecken und Vogelgezwitscher hören. Die Bilder zaubern ein frohes Strahlen auf unser Gesicht, wenn sich ein Kind freut und lassen uns die Stirn in Falten legen wie Liljas Großvater, wenn er sich Sorgen macht. Durch die ganze Palette möglicher Gefühle nimmt die Geschichte uns mit und erzählt davon, was wir brauchen, um gut zu leben.
Eine Leseerlebnis für alle Sinne und Menschen jeden Alters! Die intensiven Gefühle fahren Achterbahn durch Regen und Dürre bis hin zum Neubeginn des Lebens im Frühling, den wir alle jeden Winter so herbeisehnen.
Die Sonnenwächterin, Maja Lunde, aus dem Norwegischen übersetzt von Ina Kronenberger, mit Illustrationen von Lisa Aisato, btb Verlag, München 2021, 202 Seiten, 15,00 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)
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