Dieser kurze Briefroman wurde erstmals 1938 in der amerikanischen Zeitschrift „Story“ veröffentlicht. Der Text selbst umfasst nur ca. 55 Seiten und lässt sich gut in einer Stunde lesen. Das muss man auch, denn das Buch entfaltet sofort eine Sogwirkung, die einen nicht mehr innehalten lässt. Ich habe selten einen so kurzen Text mit so großer Wucht gelesen.
Es handelt sich um einen fiktiven Briefwechsel zwischen Max Eisenstein in San Francisco und seinem Geschäftspartner Martin Schulse, der aus San Francisco in seine Heimat München zurückgekehrt ist. Beide betreiben gemeinsam die Kunstgalerie Schulse-Eisenstein in San Francisco, als Martin mit seiner Familie im November 1932 nach Deutschland übersiedelt. Die beiden Männer in ihren Vierzigern sind einander herzlich zugetan und innig befreundet. Doch alles ändert sich, als Hitler Reichskanzler wird und Martin mit dessen Ideen in Kontakt kommt. Max ist Jude, Martin nicht.
„Lieber alter Max,
Du hast bestimmt von den neuen Ereignissen in Deutschland gehört und wirst wissen wollen, wie es sich für uns aus der Innensicht darstellt. Um die Wahrheit zu sagen, Max, ich glaube, dass Hitler in einiger Hinsicht gut für Deutschland ist, aber sicher bin ich mir nicht. (…) Der Mann ist wie ein elektrischer Schock, so stark, wie nur ein begnadeter Redner oder Fanatiker es sein kann.“ (S. 21/22)
Erschreckend real ist den Briefen Martins Wandlung zu entnehmen. Aus Freunden werden Feinde. Max kann es nicht glauben, bis immer schrecklichere Nachrichten aus Deutschland kommen. Doch Max hält die Veränderung seines Freundes nicht einfach aus. Er handelt.
Der Band wird abgerundet durch ein Nachwort von Louis Rosenthal, Herausgeberin der Zeitschrift „Story“, sowie ein weiteres von Elke Heidenreich, welche die Bedeutung des Romans historisch einordnen.
Dieser kurze Roman zeigt in unvergleichlicher Art, wie groß die Macht von Worten ist. Sowohl die Macht der Propaganda, als auch die Macht der Worte, die man ihr entgegensetzen kann. Unbedingt zu empfehlen!
Adressat unbekannt, Kathrine Kressmann Taylor, aus dem Amerikanischen übersetzt von Dorothee Böhm, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2000, 80 Seiten
(Die Rechte am Cover stehen dem Verlag zu.)
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