Juli Zeh entwirft eine gar nicht so ferne Dystopie im Jahr 2025. Angela Merkel ist nicht mehr Kanzlerin. Vielmehr hat eine Gruppe namens BBB die Führung übernommen, eine Besorgte-Bürger-Bewegung. Deren Ziel ist die Effizienzsteigerung des Landes, z.B. durch weniger Verfassungsrichter und Enquete-Kommissionen. Britta lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Braunschweig, einer mittelgroßen Stadt ohne Metropolengewusel in einer praktischen Immobilie. Sie betreibt ein Unternehmen namens „Brücke“ zusammen mit ihrem Compagnon Babak. Es bietet Hilfe für selbstmordgefährdete Menschen an.
Britta arbeitet viel und gern, sie mag ihr sauberes, durchgetaktetes Leben. Und vor allem ist sie froh, dass die meisten Dinge „sie nichts angehen“. Politik nimmt sie hin wie das Wetter. Sie belächelt ihre Freunde, die vom Leben auf dem Lande träumen und dort ein verfallenes Haus kaufen möchten. Britta verdient gut und liebt den Komfort.
„An der Oberfläche, nicht im Untergrund liegen Gesundheit und Glück.“ (S. 155)
Doch nach und nach wird Brittas Leben in Frage gestellt.
„Du kapierst es nicht.“ Julietta nippt an ihrem Tee. „Nicht ich leide. Wir alle. Das ist das Problem. In einer Welt, in der sich die, denen es am besten geht, am beschissensten fühlen, ist etwas grundverkehrt.“ (S. 107)
Brittas Privatleben und die gesellschaftliche Situation, die anfänglich nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, verweben sich plötzlich zu einer Sinn- und Wertefrage, einer Gesellschaftskritik und der Frage, ab wann die Demokratie eigentlich gefährdet ist. Von Anfang an säht die Autorin ein leises Unbehagen, das immer stärker wird und sich schließlich zu einer thrillerartigen Spannung steigert. Wie gleichgültig darf der Einzelne sein, um das System nicht zu gefährden? Wie beliebig ist das Private? Wieviel innere Werte brauchen wir, um unsere Identität nicht zu verlieren? Die von der Autorin geschilderte Welt ist nicht sehr weit von der Realität entfernt, Ähnlichkeiten zu bestimmten Gruppierungen und Personen sind sicher nicht zufällig. Wir erkennen uns selbst und unsere Nachbarn, die sich gern mal raushalten oder über Verhältnisse meckern, ohne diese zu verändern. Wir alle kennen Menschen, die nicht mehr wählen gehen, weil sie sich nicht für Politik interessieren oder sich nichts davon erwarten.
Diese abstrakt klingenden Sinnfragen verpackt Juli Zeh konkret und sehr geschickt in eine packende Handlung, die eine Sogwirkung entfaltet. Irgendwann musste ich einfach nur noch wissen, wie es ausgeht, ein echter Pageturner. Ich habe das Buch in einem Rutsch verschlungen.
Ein sehr spannender Roman über Politikverdrossenheit und Gleichgültigkeit, am Puls der Zeit, den man nicht mehr weglegen kann.
Leere Herzen, Juli Zeh, Luchterhand Verlag, München 2017, 352 Seiten, 20,00 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)
Zusatz-Info:
Der Roman ist auch als Taschenbuch für 11,00 EUR erhältlich, erschienen im btb Verlag.
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