Der dritte Band der Kopenhagen-Trilogie erschien auf Dänisch
erstmals 1971 und ist der einzige Teil der Trilogie, der früher schon einmal
auf Deutsch übersetzt wurde (1980 unter dem Titel „Sucht“ beim Suhrkamp Verlag
erschienen). Interessant ist der Originaltitel „Gift“ – dieser kann
auf Dänisch sowohl „Gift“ als auch
„verheiratet“ bedeuten. Beides lag in Tove Ditlevsens Leben eng beieinander.
Der Band beginnt mit Toves erster Ehe. Sie heiratete 1939 den
über 30 Jahre älteren Viggo F. Møller. Er war Schriftsteller und
Journalist und half Tove bei der Veröffentlichung ihrer ersten Werke. Zum
ersten Mal findet sich Tove als eine Art schreibende Hausfrau wieder. Die
Beschreibung dieser Ehe passt so gar nicht zu der Frau, die wir in den beiden
vorigen Bänden der Trilogie kennengelernt haben. Morgens am Frühstückstisch
liest der Ehemann die Zeitung. Tove darf ihn dabei nicht ansprechen. Abends
kommt er oft übellaunig aus dem Büro nach Hause. An Sexualität scheint er kein Interesse
zu haben. Die vor der Ehe genossene Zweisamkeit mit Gesprächen über Literatur
findet kaum noch statt. Mehr und mehr nimmt Tove aber eine eigene Rolle im
Literaturbetrieb ein. Sie gründet einen Club für junge Literaten und findet
literaturaffine Freunde.
Die Ehe hält nicht lange. Als Tove bereits eine erfolgreiche
Autorin ist, heiratet sie den Studenten Ebbe Munk, vor allem da sie bereits von
ihm schwanger ist. 1943 kommt die Tochter Helle zur Welt. Allerdings ist Tove
nicht die typische Mutter, wie sie im Buche steht. Das Schreiben bleibt in
ihrem Leben stets an erster Stelle. Da kommen weder Männer noch Kinder mit. Die deutsche Besatzung in den 1940er Jahren nebst Faschismus und Widerstand in Dänemark am Rande tauchen auf.
Die Autorin spricht Eheprobleme in einer Weise an, die für
die Zeit absolut ungewöhnlich ist. Sie beschreibt, wie ihre zuvor leidenschaftliche
Beziehung zu Ebbe darunter leidet, dass sie in der Stillzeit keine Lust auf Sex
hat. Dies empfindet dies als persönlichen Makel, er nennt sie frigide und sucht
sein Vergnügen bei anderen. Dass dies ein natürlicher Umstand sein könnte, auf
den ein Mann Rücksicht zu nehmen hat, scheint niemandem in den Sinn zu kommen. Tove
fühlt sich schuldig. Als sie zum zweiten Mal schwanger wird, weiß sie, dass
ihre Ehe dies nicht überstehen würde. Sie entscheidet sich zur Abtreibung, was
in Dänemark jedoch legal nicht möglich ist. Sie beschreibt die entwürdigende,
scheinheilige und gefährliche Prozedur, durch die sie das Kind schließlich
loswird.
Kurze Zeit später lernt sie den Arzt Carl Ryberg kennen, den
sie bald heiratet und von dem sie ein weiteres Kind bekommt. Eine in jeder Hinsicht toxische Beziehung beginnt. Carl
macht Tove mit dem Schmerzmittel Penithidin bekannt. Sie erlebt einen nie zuvor
gekannten Rausch. Ist es der Mann oder der Rausch, in den sie sich verliebt?
Die Abhängigkeit von beiden beginnt von Stund an. Carl hält sie von ihren
Freunden fern und beteuert, wer künstlerisch arbeite wie sie, dürfe nicht so
viel Umgang mit anderen Menschen haben. Doch bald sind Tove ohnehin alle
anderen egal. Sie schützt nicht existierende Schmerzen vor, um weiter
Medikamente zu bekommen.
„Er tätschelte mir die Wange: „Armes Kleines, jetzt bekommst
du erst mal eine Spritze.“ Ich lächelte ihn dankbar an, während sich die
Flüssigkeit in meiner Blutbahn verteilte und mich in die einzigen Höhen
versetzte, in denen ich leben wollte. Dann schlief er mit mir, wie immer, wenn
die Wirkung ihren Höhepunkt erreichte. Er tat es seltsam hastig und brutal,
ohne Vorspiel, ohne Zärtlichkeit, und ich empfand rein gar nichts dabei.
Leichte, sanfte, unbeschwerte Gedanken schwebten durch meinen Kopf. Ich dachte
voller Wärme an all meine Freunde, die ich so gut wie nie sah, und führte
imaginäre Gespräche mit ihnen.“ (S. 111/112)
Das Erleben der Sucht, des Entzugs und der Erfahrung, dass
der Entzug nicht das Ende der Sucht ist, ist der intensivste Teil des Buches.
Hautnah ist die Leserin bei diesem Todeskampf dabei. Da geht es ans
Eingemachte. Ganz zum Schluss des Buches deutet sich die vierte Ehe der Autorin
mit Victor an, die jedoch keinen Eingang mehr in die autofiktionale Erzählung
gefunden hat. Seltsam eigentlich, denn Tove Ditlevsen heiratete ihn bereits
1951. Nach der Trennung von ihrem vierten Ehemann widmete die Autorin der
22jährigen Ehe ein eigenes Buch, nämlich „Wilhelms Zimmer“.
„Abhängigkeit“ ist ein sehr intensives Buch und
unterscheidet sich von den beiden ersten Bänden dadurch, dass es sehr
plotgetrieben ist. So viel passiert, Männer und Kinder rasen durch ihr Leben,
sie wird als Schriftstellerin immer bekannter und kann längst sich und die
ganze Familie von ihrem Schreiben ernähren. Tove strebte seit ihrer Kindheit stets
nach Selbständigkeit und endete doch in Abhängigkeit. Tragisch.
Ein starkes Buch, das
die Zerrissenheit der Autorin zwischen der fiktionalen und der realen Welt
offenbart. Es ist eine beeindruckende Innenschau dieser ungewöhnlichen Frau.
Unbedingt lesenswert!
Abhängigkeit, Tove Ditlevsen, aus dem Dänischen übersetzt
von Ursel Allenstein, Aufbau Verlag, Berlin 2021, 176 Seiten, 18,00 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher
Erlaubnis des Verlags.)
Zusatz-Info:
"Abhängigkeit" ist Teil der Kopenhagen-Trilogie, deren ersten Band "Kindheit" und zweiten Band "Jugend" ich ebenfalls rezensiert habe.