Freitag, 17. Juli 2020

Writers & Lovers, Lily King

Es ist kein Geheimnis, dass die Literatur-Kanones überwiegend Literatur von männlichen Autoren enthalten. Von diversen Männern sind uns Bücher bekannt, in denen es um das Ringen eines Schriftstellers mit seinem Schreiben geht, vor allem in der Phase, in der ein Autor noch keine Buchveröffentlichung vorzuweisen hat. Was aber ist mit den weiblichen Autoren? Gehen sie anders mit dem Schreibprozess um? Wo sind die Vorbilder für schreibende Frauen?

Genau diese Frage hat sich die inzwischen mehrfach preisgekrönte Lily King gestellt. Da sie sich auf der Suche nach Vorbildern schwertat, hat sie beschlossen, das Buch selbst zu schreiben, das sie in jüngeren Jahren gern gelesen hätte. Das Ergebnis ist „Writers & Lovers“, in das offenbar viel autobiografisches Material der 1963 geborenen amerikanischen Autorin eingeflossen ist.

Casey Kasem ist 31 Jahre alt und in ihrem Leben läuft gerade so einiges nicht rund. Sie arbeitet seit sechs Jahren an ihrem ersten Roman, verdient ihren bescheidenen Lebensunterhalt in Boston durch Doppelschichten als Kellnerin und lebt in einem winzigen Zimmer, das eher ein Schuppen ist, zur Untermiete. Mehr kann sie sich nicht leisten, denn nachdem sie ihren Master in Creative Writing abgeschlossen hat, belaufen sich die Schulden aus diversen Studienkrediten auf 73.000 Dollar. Nachdem kürzlich ihre Mutter verstorben ist, hat sie nun auch noch ihr Freund Luke verlassen.

Casey ist an einem Scheideweg angekommen. Soll sie es machen wie so viele ihrer Collegefreundinnen, einfach das Schreiben sein lassen, sich einen lukrativen Job suchen oder heiraten und Kinder bekommen? Aber wen könnte sie heiraten? Luke ist nur einer in einer langen Reihe von Schriftstellern, mit denen Casey zusammen war und mit denen nichts Verbindliches auf Dauer zustande gekommen ist. Da tauchen zwei neue Bekanntschaften in ihrem Leben auf, zwei sehr verschiedene Männer, die sehr unterschiedliche Perspektiven aufzeigen.

Im Zentrum steht für Casey aber eigentlich die Arbeit an ihrem Roman. Sie wird von Selbstzweifeln und Schreibblockaden geplagt, bekommt den Text nicht fertig und wagt nicht, ihn jemandem zu zeigen. Ist sie überhaupt eine Schriftstellerin, wenn sie noch nichts veröffentlicht hat außer einer kleinen Kurzgeschichte? Hat sie etwas zu sagen, das sich zu lesen lohnt? Oder vergeudet sie ihr Leben an eine Spinnerei?

„Und?“, sagt er, bevor ich zu weit von ihm weggelangen kann, „was macht der Roman?“ Er sagt es, als wäre das Wort meine Privaterfindung. (…)

„Geht so.“ In meiner Brust fangen die Bienen zu summen an. Ein paar krabbeln an der Innenseite meines Arms hinab. Ein kurzes Gespräch kann meinen ganzen Morgen aus den Angeln heben. „Ich muss mich gleich nochmal dransetzen. Nicht viel Zeit heute. Doppelschicht.“ (…)

„Weißt du“, er stößt sich von seinem Auto ab, wartet, bis er meine volle Aufmerksamkeit hat, „ich staune nur immer wieder, dass du glaubst, du hättest etwas zu sagen.“ (S. 7/8)

Neben der Trennung von Luke, den Mahnschreiben der Inkassobüros und dem stressigen Kellnerjob muss Casey die Trauer um ihre Mutter verarbeiten. Immer wieder kommen Erinnerungen an Verletzungen aus ihrer Familie in ihr hoch, an den ehrgeizigen Vater und die weltoffene Mutter, die einst sehr plötzlich aus Caseys Leben verschwand, von ihr aber sehr geliebt wird.

Casey ist eine Frau mit vielen Facetten, was das bunte Cover sehr treffend illustriert. Wie in einem Prisma scheinen unterschiedliche Talente, Gefühle und Wünsche in ihr auf, die sich manchmal schwer vereinen lassen. Auf ihrem Weg des Romanschreibens merkt Casey, dass sie nur authentisch schreiben kann, wenn sie sich ihren Gefühlen stellt und auch die schlimmsten davon an sich heranlässt. Denn dann kann sie all diese in Ihr Schreiben fließen lassen. Es hat mir Spaß gemacht, Casey auf diesem Weg zu begleiten, durch ihre Verzweiflung, erschütternde Panikattacken, durch elektrisierende Rendezvous und Liebe. Sie bleibt sich selber treu und gibt nicht auf, das ist das Schöne an der Geschichte. Die Autorin macht Caseys Erleben körperlich spürbar, die aufsteigenden Tränen, die Leere, aber auch echte Zuneigung. Ich kann mich jetzt besser in den Schreibprozess hineinversetzen und nachvollziehen, wie anstrengend er sein muss. Insgesamt ein sehr lohnender Roman, dessen Sprache mir sehr gefällt.

Eine Frau voller widerstreitender Gefühle kämpft um ihren Roman, um ein Stück ihrer Selbst und die Anerkennung ihres Tuns. Gleichzeitig ringt sie um den Frieden mit ihrer Vergangenheit. Ein Kaleidoskop des Lebens einer Schriftstellerin.

Writers & Lovers, Lily King, aus dem Englischen von Sabine Roth, C.H.Beck Verlag, München 2020, 319 Seiten, 24,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)

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