Jedes Kind kennt Erich Kästner. Seine Kinderbücher wie "Emil und die Detektive" oder "Das doppelte Lottchen" sind weiterhin beliebt und werden immer wieder verfilmt. Erich Kästner war aber weit mehr als ein Kinderbuchautor. Mit dem gesamten Leben und Werk des Erich Kästner beschäftigt sich Klaus Kordon in dieser Biografie, die mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet worden ist. Auch für Erwachsene ist das Buch sehr lesenswert.
Erich Kästner wurde 1899 in Dresden geboren. Er hatte eine sehr innige Beziehung zu seiner Mutter, die er in seinen diversen Büchern stets zum Vorbild seiner fiktiven Mutterfiguren heranzog. Sie war eine schwer arbeitende Frau, der ihr Sohn stets Anerkennung und Rücksicht für ihre Aufopferung schuldete. Schließlich ermöglichte sie ihm durch ihren Verdienst die Bildung. Mancher munkelt, dass es Kästners starke Mutterbindung gewesen sei, die ihm eine glückliche partnerschaftliche Beziehung zu einer Frau stets erschwert habe.
Gleich die nächste Legende rankt sich um Kästners Vater. Angeblich sei nämlich nicht der Ehemann von Kästners Mutter der leibliche Erzeuger gewesen, sondern der jüdische Hausarzt der Familie. Schriftlich bestätigt wurde dies nie. Berichtet wird nur von einer unglücklichen Ehe der Kästners und einem distanzierten Verhältnis Erichs zu seinem sozialen Vater.
Der junge Erich machte früh Bekanntschaft mit dem Militär. Er wurde während des 1. Weltkriegs zum Militärdienst einberufen und in der Kaserne derart hart gedrillt, dass er eine bleibende Herzerkrankung entwickelte und als untauglich ausgemustert werden musste. Das prägte seine Abneigung gegen blinden Gehorsam und Militarismus.
Besonders interessant sind die 1920er Jahre im Leben Kästners. Er arbeitete als kritischer linker Journalist in Berlin und war einer der wenigen, die das Erstarken des Nazionalsozialismus früh vorausgesagt und davor gewarnt hatten. Sein lyrisches und sonstiges veröffentlichtes Werk war ausreichend, um den Nazis nach 1933 ein Dorn im Auge zu sein. Seine Möglichkeit zu veröffentlichen war extrem eingeschränkt. Dennoch blieb er in Deutschland und emigrierte trotz der Möglichkeit dazu nicht, wie die meisten anderen Journalisten und Autoren in ähnlicher Lage. Warum? Damit beschäftigt sich Klaus Kordon ausführlich. Hat Kästner die Gefahr durch die Nazis unterschätzt? Wollte er die Mutter nicht allein zurücklassen? Er selbst erklärte, er müsse als Beobachter im Land bleiben. Den großen Abrechnungsroman mit dem Nazideutschland, das er erlebte, hat er jedoch nie geschrieben. Erich Kästner war der einzige der betroffenen Autoren, der der Verbrennung der eigenen Bücher persönlich beigewohnt hat.
"Zwanzigtausend Bücher werden zu diesem Zweck gesammelt, vierzigtausend Zuschauer sind gekommen. Von den vierundzwanzig deutschen Autoren, deren Werke (neben denen ihrer ausländischen Kollegen) verbrannt werden, haben dreiundzwanzig Nazideutschland bereits verlassen, einer ist geblieben und sieht sich diese Kulturschande an: Erich Kästner.'Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners (Goebbels, K.K.). Begräbniswetter hing über der Stadt. Der Kopf einer zerschlagenen Büste Magnus Hirschfelds stak auf einer langen Stange, die, hoch über der stummen Menschenmenge, hin und her schwankte. Es war widerlich.'" (S. 144/145)
Klaus Kordnon verwendet viele Originalzitate Kästners, sowohl aus seiner Autobiografie "Als ich ein kleiner Junge war", seinen unzähligen Briefen an die Mutter als auch aus seinen Gedichten und Büchern. So hören wir Kästner selbst, aber auch eine kritische Würdigung seiner Außendarstellung. Diese Mischung ist Kordon sehr gelungen. Er stellt Kästner nicht als den gütigen Märchenonkel dar, sondern als einen sehr politischen Journalisten, dem in Nazideutschland keine andere Wahl blieb, als harmlose kleine Geschichten zu veröffentlichen, wenn er seinen Beruf nicht vollständig aufgeben wollte. Fotos aus verschiedensten Jahren runden das Buch ab. Natürlich habe ich bei der Lektüre Lust bekommen, Kästners Kinderbücher erneut zu lesem. Die Biografie hat mich aber auch neugierig gemacht auf Kästners Roman für Erwachsene "Fabian", heute in ungekürzter Version als "Der Gang vor die Hunde" erhältlich, die 1931 niemand drucken wollte.
Klaus Kordon gelingt die facettenreiche Darstellung Erich Kästners und seine historische Einordnung. Spannend erzählt schaut er hinter die nette Facade der Kinderbücher, um der ganzen Person Kästners gerecht zu werden. Eine sehr gelungene Biografie!
Die Zeit ist kaputt - Die Lebensgeschichte des Erich Kästner, Klaus Kordon, Gulliver in der Verlagsgruppe Beltz, Weinheim Basel 1998, 2019, 312 Seiten, 9,95 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)
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