Ein Jahr ist es bereits her, dass sich der Lebensgefährte der Hauptfigur das Leben genommen hat. Nach einem Jahr ist sie noch immer voll Trauer, Unverständnis und Schuldgefühlen, vor allem aber total am Ende, seelisch wie körperlich. Sie beschließt, wieder regelmäßig laufen zu gehen, was sie seit Jahren nicht mehr gemacht hat. Wir erleben mit, wie sie den inneren Schweinehund überwindet, nach wenigen Schritten überhaupt nicht mehr kann, aber dennoch mit schweren Beinen weiterläuft. Von Tag zu Tag klären sich dabei ihre Gedanken. Nicht nur dadurch, sie hat auch therapeutische Hilfe.
Die Protagonistin hat nicht nur zu verarbeiten, dass sie einen geliebten Menschen verloren hat. Sie macht sich Vorwürfe, seinen Freitod nicht verhindert zu haben. Sie kämpft mit der Art, wie seine Eltern mit seinem Tod und mit ihr umgehen – sie waren ja schließlich nicht verheiratet. Sie trauert darum, dass sie nun Mitte vierzig ist und ihr Kinderwunsch nach dem Tod des Partners unerfüllt bleiben wird. Sie ist zu alt. Wie soll das Leben überhaupt weitergehen? Darf sie wieder lachen, etwas Buntes anziehen, sich für Männer interessieren? Das Laufen wird zum Symbol all der Dinge, die sie glaubt nicht zu können und sie dann doch bewältigt.
„Ob mein Hirn mir sagen will, dass ich besser vorankäme, wenn ich wüsste, wo ich hinwill, wie unsubtil, erst mal möchte ich nur laufen, vielleicht finde ich noch heraus, wohin ich will, und nicht nur, wovor ich weglaufe, am liebsten würde ich rückwärtslaufen, das Leben zurückspulen und dich vielleicht noch retten, dafür sorgen, dass du gesund bleibst, dass du zum Arzt gehst, als ginge das, vielleicht gibt es ja ein paar tolle Bachblüten oder Einhornessenzen.“ (S. 39)
Die Themen des Buches sind schrecklich und tun weh. Es wäre der Alptraum jeder Frau, ihren langjährigen Partner auf diese Weise zu verlieren, einschließlich des Kinderthemas. In der Rückschau wird klar, dass das Paar bereits Jahre vor dem Suizid kein einfaches Leben mehr hatte, da der Mann an Depression erkrankt war. Damit zu leben ist nicht nur für den Betroffenen, sondern auch für die Lebensgefährtin schwer zu ertragen. Das Buch hat mich nicht gepackt, teilweise unangenehm berührt, was ich aber nicht dem Roman anlasten möchte, sondern eher den Themen, die ich schwer aushalten konnte. Vielleicht musste ich die Gefühle der Protagonistin deshalb etwas auf Abstand von mir halten. Auch liegt es mir fern, mich derart beim Sport auszupowern, wie es die Hauptfigur tut, um ihrem Alltag Struktur zu verleihen. Die Geschichte spielt in Hamburg, meiner Heimatstadt, so dass ich bei den beschriebenen Laufrunden um die Alster das Terrain immer deutlich vor mir sehen konnte. Das war vielleicht zu dicht für mich. So kann ich nicht sagen, dass es ein Lesevergnügen war, aber dennoch kein schlechtes Buch. Obwohl der Roman rein fiktiv ist und keinen autobiografischen Hintergrund der Autorin hat, wurde die Geschichte glaubhaft transportiert.
Eine Frau läuft sich frei von Trauer und unerfüllter Sehnsucht. Die Themen kamen mir etwas zu nah, die Trauer war mir zu viel. Vielleicht ist das ein Qualitätsmerkmal der Schreibe?
Laufen, Isabel Bogdan, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019, 208 Seiten, 20,00 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)
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