Quasi vierzehn ist sie, als sie beschließt, nicht mehr in
die Schule zu gehen, also eigentlich dreizehn. Sie mag die Schule nicht, wo
andere Mädchen sie „Brotgesicht“ nennen und damit angeben, dass sie schon einen
Freund haben. Auch ihren Körper mag sie nicht, findet sich zu dick und hat
Pickel an den Armen. Und ihren Namen mag sie auch nicht. Deshalb nennt der Alte
sie einfach Quasi.
So alt ist der Alte nun auch nicht, Mitte fünfzig, aber für
Quasi eben doch ein alter Mann. Auch weil er so altmodisch aussieht mit seinem
dünnen Schnurrbart und dem edlen, aber abgenutzten Anzug.
„Beim ersten Mal ist sie so überrumpelt, dass sie bei seinem Anblick zusammenzuckt. Das Mädchen sitzt mit dem Rücken an den Baum gelehnt da und liest eine Zeitschrift, als sie hört, wie Schritte näherkommen, das Rascheln im Laub, da steht er plötzlich vor ihr – vielleicht ein wenig verwirrt, aber nicht überrascht, sie hier, hinter den Büschen versteckt, anzutreffen. Der Alte bittet um Verzeihung – „Ich wollte dich nicht erschrecken!“, sagt er – und fragt anschließend, was sie da liest.“ (S. 7)
Was durch Zufall beginnt, wird zur Routine. Jeden Morgen versteckt
Quasi sich hinter den Büschen im Park. Jeden Tag kommt der Alte vorbei und
setzt sich zu ihr. Er redet über Vögel, die er mit seinem Fernglas beobachtet
und über die er einfach alles weiß. Warum arbeitet er eigentlich nicht? Lieber
nicht fragen, denn er fragt Quasi auch nicht, warum sie nicht in der Schule
ist. Nach und nach erzählt Quasi, dass es zuhause nicht mehr so ist wie früher,
weil ihr älterer Bruder ausgezogen ist, um seinen Master im Ausland zu machen.
Bröckchenweise erfährt sie von dem Alten, dass dieser mal in einer Klinik
gewesen ist, wo man nie allein spazieren gehen durfte und man ihm gegen seinen
Willen Medikamente gegeben hat.
Quasi erzählt niemandem von ihrer Bekanntschaft mit dem
Alten. Sie weiß, dass die Leute ihre Treffen komisch finden würden. Sie weiß
auch, dass ältere Männer jungen Mädchen manchmal nachstellen und sie
belästigen. Was will der Alte von ihr? Will er sich nur unterhalten? Quasi
weiß, dass ihr Schulschwänzen irgendwann entdeckt werden und man sie dann
fragen wird, was sie den ganzen Tag im Park gemacht hat. Da nimmt die Geschichte
eine unerwartete Wendung. Denn nichts ist, wie es zu sein scheint.
Die spanische Autorin Sara Mesa zeichnet feinfühlig und in sich langsam ergänzenden
Facetten zwei Menschen, die sich anders als die anderen fühlen, die Außenseiter
sind. Sehr nachvollziehbar beschreibt sie das verwirrende Teenageralter, in dem
Körper und Seele sich verändern, man nicht weiß, wohin man gehört, und ob
alles, was die anderen sagen, richtig ist. Wer definiert eigentlich, wie man
sein muss, was man darf und was man nicht darf? Warum darf der Alte nicht mit
Kindern auf einem Schulhof sprechen? Wieso hat man ihm verboten allein
spazieren zu gehen? Der Roman beschreibt in leisen, empathischen Tönen die
Gratwanderung der Toleranz und des Respekts für den anderen, egal ob jung oder
alt. Dabei geht es immer um das Verstandenwerden, das wir alle uns wünschen,
und um die Notwendigkeit genau hinzuschauen, weil ein schnell gefundenes
Etikett den anderen nie zutreffend beschreiben kann.
Eine wunderschön
erzählte, ungewöhnliche Geschichte über das Anderssein, deren Ausgang auch ganz
anders ist als gedacht.
Quasi, Sara Mesa, aus dem Spanischen von Peter Kultzen,
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2020, 144 Seiten, 18,00 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher
Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung
gestellte Rezensionsexemplar.)
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