Ein humoriger Roman über Depression – geht sowas überhaupt?
Grundsätzlich schon, aber dieser Humor war nicht meiner.
Vera leidet an einer Depression und hat einen
Selbstmordversuch hinter sich. Nachdem ein Blogbeitrag von ihr Aufmerksamkeit erregt
hat, soll sie für einen Verlag nun ein Ratgeberbuch über Depression schreiben. Das
Problem ist nur – sie ist immer noch depressiv, mit allem was dazu gehört. Sie ist
antriebslos, kommt schwer aus dem Bett, leidet unter massiven Selbstzweifeln
und klagt sich für ihr Verhalten an. Alltägliche Verrichtungen wie Duschen oder
frische Kleidung anziehen werden zu unüberwindlichen Hindernissen, die Wohnung ist
ein Saustall. Der Verlagsvorschuss ist fast verbraucht, ohne dass Vera auch nur
ein Konzept hinbekommen hat, geschweige denn ein Manuskript abliefern kann. Der
Abgabetermin rückt näher, der Lektor wird ungeduldig. Vera möchte gern ein Buch
schreiben. Aber sie fühlt sich unfähig es zu tun. Ihre Freundin Pony hat Verständnis
dafür – und selbst Erfahrung mit Depression. Pony kommt Vera oft besuchen. Dazu
braucht Vera ja nicht aufzustehen.
„Ich denke ein bisschen an das Buch, das ich schreiben muss, um mich zu quälen. Wenn ich länger nicht daran denke, dass ich etwas aufgeschoben habe, ist das irgendwann so weit weg, dass die Angst nachlässt und es sich unwirklich anfühlt. Aber wenn ich mir vor Augen führe, wie der Termin immer näher rückt und wie wenig ich bis jetzt zustande gebracht habe, dann kommt die Angst wieder. Es wäre so toll, wenn ich krank werden könnte. Also mit einer richtigen Krankheit, die Leute respektieren. Es müsste etwas sein, was man sieht, und wo niemand argumentieren kann, man müsse sich nur zusammenreißen.“ (S. 87/88)
Der Roman schwankt aus meiner Sicht zwischen zwei Stilen, die zu stark auseinanderklaffen. Einerseits
spricht die Erzählerin Vera selbstironisch davon, wie sie immer wieder daran
denken muss, dass sie sich in den Kopf schießen will oder berichtet, wie sie
zur Ablenkung wahllosen Sex mit Tinder-Dates hat. Dieser Teil kam mir
aufgesetzt und zu gewollt humorig vor. Dieser Stil ist wohl als Tabubruch
gemeint. Andererseits erfährt der Leser immer wieder stückchenweise Dinge aus Veras
Kindheit und Herkunftsfamilie, die schlichtweg traumatisch sind. Sie wirken
deswegen so erschütternd, weil Vera ihre damalige Realität ganz nebenbei berichtet
und klar wird, dass diese schockierenden Dinge für Vera einfach normal waren.
Da braucht es keine Ironie und aufgesetzte coole Formulierungen. Die sehr
realistische Schilderung des emotionalen Missbrauchs durch die Eltern spricht
für sich, gerade durch die Schlichtheit der Beschreibung. Diese Teile des
Buches haben mir besonders gefallen. Sie beschreiben die Ursache von Veras Depression
und wie Veras Familie die Zustände nach wie vor verschweigt und bagatellisiert.
Der Missbrauch geht auch im Erwachsenenalter weiter.
Insgesamt sind die Auswirkungen einer Depression im Alltag
gut und realistisch dargestellt. Es hätte dem Buch aber für meinen Geschmack
besser getan, die übertriebene Witzigkeit mancher Passagen wegzulassen. Sie
wirkt auf mich nicht echt, auch nicht vor dem Hintergrund, dass sie eventuell
die äußere Fassade darstellen soll, die viele Depressive aufrechterhalten. So
bin ich hin- und hergerissen in meinem Gesamturteil. Das Buch hat wirklich gute
Passagen, der Gesamtton war aber nicht meiner. Vielleicht erleichtert der
Erzählstil aber Menschen den Zugang zum Thema, die vor einer ernsthafteren
Sprache zurückschrecken würden.
Ein Depressionsroman
mit guter Geschichte, der mich aufgrund des teilweise unecht wirkenden, gewollt
witzigen Erzähltons nicht ganz überzeugen konnte.
Die beste Depression der Welt, Helene Bockhorst, Ullstein Verlag,
Berlin 2020, 320 Seiten, 20,00 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher
Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung
gestellte Rezensionsexemplar.)
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