Der Februar ist „Black History Month“. Diese Aktion ermutigt
uns, Bücher von farbigen Autoren zu lesen und uns u.a. mit Rassismus zu
beschäftigen. Ich hatte mir bereits letzten Oktober vorgenommen „Die Nickel
Boys“ zu lesen, nachdem mich Colson Whitehead bei der Literaturgala anlässlich
der Frankfurter Buchmesse sehr beeindruckt hatte (vgl. mein Bericht).
Colson Whitehead wurde 1969 in New York geboren und at 2017 für einen anderen Roman den Pulitzer Preis gewonnen. Er nimmt
sich mit den „Nickel Boys“ eines Südstaatenthemas an, das auf wahren Tatsachen
beruht. Die fiktive „Nickel Academy“ in Florida ist eine Besserungsanstalt, in der es verschiedene
Bereiche für weiße und farbige männliche Jugendliche gibt. Das Institut
bezeichnet sich gern als Schule, ist aber faktisch eher ein Jugendgefängnis. Dieser
fiktive Ort ist der „Dozier School for Boys“ in Marianna, Florida nachempfunden,
die von 1900 bis 2011 betrieben wurde. Nach der Schließung wurden auf dem
Gelände Leichen von Insassen gefunden, die nicht auf dem offiziellen Friedhof
beigesetzt worden waren. So begann eine Untersuchung, die die traurige Geschichte
dieser Einrichtung beleuchtete. Durch Zeitungsberichte wurde der Autor auf das Thema aufmerksam.
Der Roman spielt ab 1962 und erzählt das Leben des
16jährigen Farbigen Elwood Curtis. Er lebt mit seiner Großmutter im Bezirk
Frenchtown in Tallahassee, Florida, nachdem sich seine Eltern aus dem Staub gemacht
und ihn zurückgelassen haben. Seine Großmutter führt ein strenges Regiment und
sorgt dafür, dass Elwood fleißig lernt. Sie schenkt ihm eine Schallplatte mit Reden
von Martin Luther King, die Elwood sehr beeindrucken. Neben der Schule jobbt
Elwood in einem Kiosk, um Geld fürs College zu sparen. Rassentrennung und Gewalt
durch Polizei oder Anhänger des Ku-Klux-Klans sind Alltag.
Durch einen dummen Zufall und eine willkürliche Justiz wird
Elwood zu zwei Jahren im Nickel verurteilt. Er bemerkt schnell, dass dort
Gleichgültigkeit, Willkür und Gewalt regieren. Dennoch versucht Elwood sich
seine Würde zu bewahren und weiter im Geiste Martin Luther Kings für eine
Änderung der Verhältnisse zu kämpfen. Bildung findet dort nicht statt. Die Jungen
werden ausgebeutet als Hilfsarbeiter. Korruption und Sadismus sind an der
Tagesordnung. Die Gewalt ist unbeschreiblich. Manche Jungen verschwinden – sie wurden
zu Tode geprügelt. In dem Mitinsassen Turner findet Elwood einen Freund. Dieser
rät ihm, sich pragmatischer zu verhalten, den Kopf einzuziehen, um schneller
aus der Anstalt entlassen zu werden.
„Er verzog den Mund, als würde er an einem faulen Zahn lutschen. „Aber ich war eine Weile draußen, und jetzt bin ich wieder hier drin, und deshalb weiß ich, dass es hier nichts gibt, was die Leute verändert. Hier drin ist es genauso wie draußen, nur muss hier keiner mehr so tun als ob.“Er beschrieb verbale Kreise, alles wies auf sich selbst zurück. Elwood sagte: „Das verstößt gegen das Gesetz.“ Gegen das Gesetz des Staates, aber auch gegen seine eigenen Maßstäbe. Wenn alle wegsahen, waren auch alle Mittäter. Wenn er wegsah, war er genauso belastet wie alle anderen. So sah Elwood die Sache, so hatte er das schon immer gesehen.“ (S. 88/89)
Der Roman vermittelt die Ausweg- und Hilflosigkeit des Rassismus.
Obwohl die Gesetze sich ändern, den Farbigen mehr Rechte zusprechen, ändern die
Menschen sich dennoch nicht. Der Rassismus und die Gewalt werden von Generation
zu Generation vererbt. Die Menschen begehren auf gegen Gesetzesverstöße, aber
weder die Polizei noch die Regierung kümmert dies. Alle sehen weg. Ich kann
kaum ermessen, was es bedeuten muss, unter solchen Umständen leben zu müssen.
Außerdem
zeigt die Geschichte anschaulich, dass Drill und Gewalt niemanden bessern,
sondern dass Menschen auf ewig gebrochen und traumatisiert werden in derartigen
Einrichtungen. Dem wird Martin Luther Kings religiöser Anspruch
entgegengesetzt, man müsse auch seine Feinde lieben.
Der Roman erzählt teilweise aus der Rückblende, so dass wir
erfahren, was aus den Nickel Boys geworden ist und wie man nach Schließung der
Einrichtung mit der Aufarbeitung begann. Die Geschichte ist spannend erzählt, die Gewaltdarstellungen sind so kurz wie nötig gehalten. Die bedrückende
Atmosphäre des schrecklichen Ortes kam für mich überzeugend rüber. Was die Hauptcharaktere motiviert, konnte
ich gut mitfühlen, es hat mich sehr berührt.
Colson Whitehead gibt
einer mundtot gemachten Gruppe eine Stimme. Ein wichtiges, nachdenklich
machendes Buch, von denen man viel mehr lesen sollte.
Die Nickel Boys, Colson Whitehead, aus dem Englischen von Henning
Ahrens, Carl Hanser Verlag, München 2019, 224 Seiten, 23,00 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher
Erlaubnis des Verlags.)
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