Montag, 2. März 2020

Die Nickel Boys, Colson Whitehead


Der Februar ist „Black History Month“. Diese Aktion ermutigt uns, Bücher von farbigen Autoren zu lesen und uns u.a. mit Rassismus zu beschäftigen. Ich hatte mir bereits letzten Oktober vorgenommen „Die Nickel Boys“ zu lesen, nachdem mich Colson Whitehead bei der Literaturgala anlässlich der Frankfurter Buchmesse sehr beeindruckt hatte (vgl. mein Bericht).

Colson Whitehead wurde 1969 in New York geboren und at 2017 für einen anderen Roman den Pulitzer Preis gewonnen. Er nimmt sich mit den „Nickel Boys“ eines Südstaatenthemas an, das auf wahren Tatsachen beruht. Die fiktive „Nickel Academy“ in Florida ist eine Besserungsanstalt, in der es verschiedene Bereiche für weiße und farbige männliche Jugendliche gibt. Das Institut bezeichnet sich gern als Schule, ist aber faktisch eher ein Jugendgefängnis. Dieser fiktive Ort ist der „Dozier School for Boys“ in Marianna, Florida nachempfunden, die von 1900 bis 2011 betrieben wurde. Nach der Schließung wurden auf dem Gelände Leichen von Insassen gefunden, die nicht auf dem offiziellen Friedhof beigesetzt worden waren. So begann eine Untersuchung, die die traurige Geschichte dieser Einrichtung beleuchtete. Durch Zeitungsberichte wurde der Autor auf das Thema aufmerksam.

Der Roman spielt ab 1962 und erzählt das Leben des 16jährigen Farbigen Elwood Curtis. Er lebt mit seiner Großmutter im Bezirk Frenchtown in Tallahassee, Florida, nachdem sich seine Eltern aus dem Staub gemacht und ihn zurückgelassen haben. Seine Großmutter führt ein strenges Regiment und sorgt dafür, dass Elwood fleißig lernt. Sie schenkt ihm eine Schallplatte mit Reden von Martin Luther King, die Elwood sehr beeindrucken. Neben der Schule jobbt Elwood in einem Kiosk, um Geld fürs College zu sparen. Rassentrennung und Gewalt durch Polizei oder Anhänger des Ku-Klux-Klans sind Alltag.

Durch einen dummen Zufall und eine willkürliche Justiz wird Elwood zu zwei Jahren im Nickel verurteilt. Er bemerkt schnell, dass dort Gleichgültigkeit, Willkür und Gewalt regieren. Dennoch versucht Elwood sich seine Würde zu bewahren und weiter im Geiste Martin Luther Kings für eine Änderung der Verhältnisse zu kämpfen. Bildung findet dort nicht statt. Die Jungen werden ausgebeutet als Hilfsarbeiter. Korruption und Sadismus sind an der Tagesordnung. Die Gewalt ist unbeschreiblich. Manche Jungen verschwinden – sie wurden zu Tode geprügelt. In dem Mitinsassen Turner findet Elwood einen Freund. Dieser rät ihm, sich pragmatischer zu verhalten, den Kopf einzuziehen, um schneller aus der Anstalt entlassen zu werden.

„Er verzog den Mund, als würde er an einem faulen Zahn lutschen. „Aber ich war eine Weile draußen, und jetzt bin ich wieder hier drin, und deshalb weiß ich, dass es hier nichts gibt, was die Leute verändert. Hier drin ist es genauso wie draußen, nur muss hier keiner mehr so tun als ob.“
Er beschrieb verbale Kreise, alles wies auf sich selbst zurück. Elwood sagte: „Das verstößt gegen das Gesetz.“ Gegen das Gesetz des Staates, aber auch gegen seine eigenen Maßstäbe. Wenn alle wegsahen, waren auch alle Mittäter. Wenn er wegsah, war er genauso belastet wie alle anderen. So sah Elwood die Sache, so hatte er das schon immer gesehen.“ (S. 88/89)

Der Roman vermittelt die Ausweg- und Hilflosigkeit des Rassismus. Obwohl die Gesetze sich ändern, den Farbigen mehr Rechte zusprechen, ändern die Menschen sich dennoch nicht. Der Rassismus und die Gewalt werden von Generation zu Generation vererbt. Die Menschen begehren auf gegen Gesetzesverstöße, aber weder die Polizei noch die Regierung kümmert dies. Alle sehen weg. Ich kann kaum ermessen, was es bedeuten muss, unter solchen Umständen leben zu müssen.

Außerdem zeigt die Geschichte anschaulich, dass Drill und Gewalt niemanden bessern, sondern dass Menschen auf ewig gebrochen und traumatisiert werden in derartigen Einrichtungen. Dem wird Martin Luther Kings religiöser Anspruch entgegengesetzt, man müsse auch seine Feinde lieben.

Der Roman erzählt teilweise aus der Rückblende, so dass wir erfahren, was aus den Nickel Boys geworden ist und wie man nach Schließung der Einrichtung mit der Aufarbeitung begann. Die Geschichte ist spannend erzählt, die Gewaltdarstellungen sind so kurz wie nötig gehalten. Die bedrückende Atmosphäre des schrecklichen Ortes kam für mich überzeugend rüber. Was die Hauptcharaktere motiviert, konnte ich gut mitfühlen, es hat mich sehr berührt.

Colson Whitehead gibt einer mundtot gemachten Gruppe eine Stimme. Ein wichtiges, nachdenklich machendes Buch, von denen man viel mehr lesen sollte.

Die Nickel Boys, Colson Whitehead, aus dem Englischen von Henning Ahrens, Carl Hanser Verlag, München 2019, 224 Seiten, 23,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

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