Daniela Krien hatte in letzter Zeit großen Erfolg mit ihren
Romanen. Nun hat der Diogenes Verlag einen Band ihrer Kurzgeschichten neu
aufgelegt, der bereits 2014 in einem anderen Verlag erschienen war. Die Ausgabe
ist überarbeitet und enthält eine zusätzliche Geschichte. Insgesamt sind elf
Kurzgeschichten in dem Band versammelt.
Im Vorwort berichtet die Autorin, wie die Ideen für die Geschichten
entstanden sind. Sie hat Schicksale gesammelt, z.B. aus der Zeitung und in
einem Satz zusammengefasst, etwa „Überschuldeter Handwerker begeht Selbstmord“.
(S. 9)
Daniela Krien wurde 1975 in Mecklenburg-Vorpommern geboren
und lebt heute in Leipzig, wo sie auch studiert hat. Alle Erzählungen des
vorliegenden Bandes spielen in einem kleinen Ort im Muldental in Sachsen. Die Autorin
beschreibt darin die Lebensbrüche der Menschen dort, die durch den Mauerfall
und die deutsche Wiedervereinigung entstanden sind. Eine Erfahrung, welche die
Autorin sicher auch selbst gemacht hat.
„Auch diese beiden haben ein erstes und ein zweites Leben. Vor und nach dem Mauerfall, vor und nach der Wende, vor und nach der friedlichen Revolution – egal, wie sie es nennen, die Bruchstelle ist für alle dieselbe.“ (Muldental II, S. 220)
Daniela Krien beschreibt, aus welchem Leben in der DDR die
Menschen kamen und in welche Situation sie Jahre später gelangt sind, wie sie
zu denen wurden, die sie jetzt sind. Es sind gewöhnliche Menschen, Männer und
Frauen, wie jeder von uns sie aus der Nachbarschaft kennt, Arbeiter und
Akademiker. Manche schaffen es, die Krise des Systemwechsels zu überwinden,
andere schaffen es nicht. Jede Geschichte ist in sich abgeschlossen, doch haben
einige der Hauptpersonen Beziehungen untereinander, sind zusammen im gleichen Dorf
aufgewachsen, so dass sich eine Art Nach-Wende-Panorama ergibt.
Sehr beeindruckend fand ich die Erzählung „Muldental“ (S. 11
ff), in der ein Mann nach der Wende erfahren hat, dass seine Ehefrau jahrelang für
die Stasi gearbeitet hat, nachdem sie extrem unter Druck gesetzt worden war. Das
familiäre Zusammenleben mit diesem Wissen wird unerträglich.
Mehrere der Geschichten drehen sich um die Auflösung der
DDR-Betriebe und die nachfolgende Arbeitslosigkeit. Wo soll das Geld herkommen?
Wie soll man den Kindern etwas bieten? Die individuellen Lösungen sind
unterschiedlich und teilweise erschütternd.
Bedrückend ist die Erzählung „Mimikry“ (S. 30 ff), die vom „Rassismus“ gegen Ostdeutsche handelt. Dankbar sollen sie sein, dass sie im Westen eine Arbeit
finden und der Staat ihnen ihr heruntergewirtschaftetes Land wiederaufbaut. Aber
„anders“ sind sie, finden die Wessis. Die will man nicht überall dabeihaben. Die
sächsische Mundart fällt auf im Westen. Die Menschen werden durch Vorurteile
definiert. Wie bitter ist das!
„Er war die Summe seiner Brüche, doch nicht zerbrechlich. Sein Blick auf die Dinge war nüchtern. Er kannte das Land der großen Gleichheitsutopie, dessen Bürger zum Bleiben gezwungen worden waren; und er kannte das Land, das seinen Bürgern einredete, frei zu sein, nur weil es keine Mauern gab. In dem untergegangenen System waren die Lügen so plump gewesen, dass jeder sie erkannte, in dem neuen dagegen glich die Illusion der Wirklichkeit aufs Haar.“ (Muldental II, S. 210)
Daniela Krien schreibt einfühlsam über das Schicksal und die
Gefühle ihrer Personen, so dass wir ihnen ganz nahekommen können. Jeder Leser wird
eins der beschriebenen Schicksale schon einmal gesehen haben, sie sind
exemplarisch. Mir wurde das Privileg bewusst, im Westen geboren worden zu sein,
so dass mir dieser Bruch – der manchen zerbrach - erspart geblieben ist. Natürlich
wusste ich, dass es Menschen so gegangen ist, wie es hier beschrieben wird.
Aber mitgefühlt habe ich es vorher noch nie so intensiv. Ich schäme mich ein bisschen
für meine emotionale Unwissenheit.
Die Wende hat
Lebensläufe gebrochen, manchmal zerbrochen. Diese Realität wirkt auch dreißig Jahre
nach der Wiedervereinigung fort. Es ist wichtig sich damit zu beschäftigen,
gerade für Menschen, die den Alltag in der DDR und der Anfangszeit der neuen
Bundesländer nicht selbst erlebt haben. Dieses Buch ist dazu sehr gut geeignet.
Muldental, Daniela Krien, Diogenes Verlag, Zürich 2020, 240
Seiten, 22,00 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher
Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung
gestellte Rezensionsexemplar.)
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