Montag, 4. November 2019

Hertzmann’s Coffee, Vanessa F. Fogel

Wir befinden uns in New York City, in einem vornehmen Apartmenthaus mit Blick auf den Central Park. Yankele und Dora Hertzmann, beide Mitte achtzig, sitzen dort und lesen die Zeitung. Yankele kauft jeden Morgen zwei Exemplare, für jeden eine. Ihr Leben könnte wunderschön sein. Sie haben in ihrem Leben eine gutgehende Kaffeefirma aufgebaut und verkaufen in alle Welt. Ihre vier Kinder sind längst Teilhaber.

Aber die Idylle trügt. Es gibt Streit in der jüdischen Familie. Yankele überlegt verzweifelt, was er falsch gemacht hat, da er es nicht hat verhindern können. Hat er die Kinder falsch erzogen, ihnen nicht den Wert der Familie beigebracht? Und hat er ihnen nicht alles gegeben, was sie für ein sorgenfreies Leben brauchen? Die Firma, die er mit Dora aufgebaut hat, könnte sie alle gut ernähren. Warum nur? Und was ist zu tun?


Yankele und Dora sind seit über sechzig Jahren verheiratet und einander von Herzen gut. Früher lebten sie noch in Berlin. Nach dem schrecklichen Krieg haben sie sich kennengelernt. Sie wollten eine Familie gründen, denn ihre bisherigen Familien waren ausgelöscht worden. Darüber wollen sie nie wieder sprechen. Nur die Zukunft ist wichtig. Während einer Familienfeier kommt es zum Eklat. Yankele weiß nicht warum. Ein Gespräch scheint nicht möglich. Schließlich kommt er auf eine sehr moderne Idee, nachdem er ein Elektronikfachgeschäft aufgesucht hat. Ob das hilft?

„Ich holte tief Luft und murmelte: Gam zu le'toyveh. Auch das wird zum Guten sein. Gam zu le'toyveh. Es muss so sein, dachte ich und spürte, wie neue Hoffnung aufkam und sich in mir ausbreitete wie Milch, die man in eine Tasse Kaffee gießt. Sanft und vielversprechend.“ (S. 119)

Dieser spannende und ergreifende Roman schildert familiäre Beziehungen auf allen Ebenen, die zwischen Geschwistern, Eltern und Kindern und zwischen Eheleuten. Die Konflikte betreffen alle Generationen. Gerade mit denen, die einem am nächsten stehen, gelingen Gespräch, Nähe und Versöhnung oft am wenigsten. Jeder hat Verletzungen und hat seinen Weg gefunden, damit umzugehen, damit zu leben. Der Weg ist nicht für alle der gleiche.

Die Geschichte setzt sich nach und nach aus Bruchstücken zusammen. Vieles bleibt zunächst unverständlich, viele Antworten bleibt der Roman bis zum Schluss schuldig. Liebevoll werden die Charaktere Yankele und Dora ausgearbeitet, mit ihren Schrullen, Wünschen und Ansichten. Der Duft des Kaffeeimperiums ist allgegenwärtig und steigt aus den Seiten empor. Er vermischt sich mit dem Geruch des alten Europa, auch wenn niemand dies ausspricht. Viel bleibt der Phantasie des Lesers überlassen, gerade an dem – für mich unbefriedigenden – Ende. Der Roman ist an einigen Stellen atmosphärisch dicht, an anderen episodenhaft brüchig, eine spannende Mischung aus unterschiedlichen Erzählweisen.

Ein anrührender Familienroman, in dem jeder sich erkennen wird, der eine Familie hat oder aus einer stammt. Große, generationenübergreifende Konflikte, auf knappem Raum erzählt. Ein tolles Buch!

Hertzmann’s Coffee, Vanessa F. Fogel, aus dem Amerikanischen von Eva Bonné unter Mitarbeit von Vanessa F. Fogel, btb Verlag, Random House Gruppe, München 2015, 320 Seiten, 10,99 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

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