Wie schon in „Die Geschichte der Bienen“ werden parallel
drei Geschichten von drei (bzw. vier) Personen in drei Epochen erzählt. Der russische
Zoologe Michail erfährt 1881 in St. Petersburg, dass es in der mongolischen Steppe
angeblich noch Wildpferde gebe, obwohl man diese für seit tausenden von Jahren
ausgestorben gehalten hatte. Er ist fasziniert von der Idee, diese verschollene
Art in Tiergärten sichtbar zu machen und durch Züchtung zu vermehren. Er plant
eine Expedition in die Mongolei, um dort Tiere zu fangen und nach Europa zu
bringen. Er bittet den deutschen Zoologen Wilhelm Wolff um Hilfe, der Erfahrung
mit derart exotischen Expeditionen hat. (Die Figur des Wolff wurde inspiriert
von Carl Hagenbeck, dem Gründer des Hamburger Tierparks Hagenbeck.)
Die deutsche Tierärztin Karin betreibt ein Zuchtprogramm für
mongolische Wildpferde in Frankreich. Im Jahr 1992 bringt sie eine kleine Herde
davon in die Mongolei, um sie dort wieder auszuwildern. Sie wird von ihrem Sohn
Mathias dorthin begleitet und vor Ort unterstützt von dem Mongolen Jochi. Die
Beziehung zwischen Mutter und Sohn ist nicht einfach. Welche Rolle Jochi in
menschlicher Hinsicht für Karin spielt, ist zunächst unklar.
In der Zukunft, im Jahr 2064 lebt Eva in Süd-Norwegen auf
dem Familienbauernhof. Dieser beherbergte einst auch Wildtiergehege, die Eva nach
dem Klimakollaps aber größtenteils aufgeben musste. Sie hat genug damit zu tun,
sich und ihre 14jährige Tochter Isa (die teilweise miterzählt) zu ernähren. Sie
konnte hauptsächlich Nutztiere wie Kühe und Ziegen behalten, da sie Milch und
Fleisch geben, hat sich aber auch von ihren beiden mongolischen Wildpferden
noch nicht trennen können. Die Art der Wildpferde ist akut bedroht, Eva möchte
sie erhalten. In diesem Erzählstrang begegnen wir einer Figur aus dem Band „Die
Geschichte des Wassers“ wieder.
Den drei Geschichten ist gemeinsam, dass es stets um einen Existenzkampf
geht. Bereits 1881 gelten die Wildpferde als ausgestorben, so dass Menschen
sich für die Erhaltung dieser Art einsetzen. Die Notwendigkeit des menschlichen
Eingreifens bleibt bis 2064 erhalten. Es sind aber nicht nur die Tiere, die um
ihr Überleben kämpfen. Zwei Erzählstränge spielen hauptsächlich in der
mongolischen Steppe oder auf dem Weg dorthin. Die Mongolei ist ein unwirtliches
Land, in dem kaum Pflanzen wachsen und den größten Teil des Jahres große Kälte
herrscht. Mit der Ausrüstung des 19. Jahrhunderts fällt es Menschen schwer,
dort zu überleben, die dort nicht geboren wurden. Aber auch über einhundert
Jahre später sind -40 Grad keine Freude und erschweren Leben und Arbeit der Menschen.
Noch schwerer aber haben es die Menschen in der Zukunft nach dem Klimakollaps.
Städte und Kraftwerke sind zerstört, funktionierende Staatsregierungen und
öffentliches Leben gibt es nicht mehr, Menschen stehlen einander die letzten
Nahrungsmittel und sind permanent auf der Flucht, auf der Suche nach Nahrung
und Lebensraum.
Zusätzlich zum äußeren Kampf hat jede der drei Geschichten einen
menschlichen Konflikt zum Gegenstand. Die Erzähler kämpfen mit einem Teil ihrer
eigenen Persönlichkeit, eigenem menschlichen Versagen oder den Beziehungen zu ihnen
nahestehenden Menschen. Alle wachsen im Laufe der Geschichte und offenbaren
Teile ihrer Vergangenheit, die zu den heutigen Konflikten beigetragen haben.
„Wolff war der Beste auf seinem Gebiet. Mein Respekt vor ihm wuchs mit jeder Geschichte, die ich las, und jetzt stand ich also im Briefwechsel mit ihm … mit ihm. Obwohl ich diese Korrespondenz unsagbar schätzte und mich auf jeden seiner Briefe diebisch freute, reichte das allein nicht aus. Der finanzielle Druck stieg von Tag zu Tag.Zu guter Letzt, ein halbes Jahr nachdem ich den Schädel in Poljakows Büro gesehen und die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, erhielt ich einen Brief, dessen Inhalt die Vorstellungen meiner kühnsten Träume übertraf. (…)Im Stehen las ich den Brief weiter, ließ mir die Worte auf der Zunge zergehen wie ein kostbares Konfekt. Wolff hatte nicht allein die fehlenden Mittel zur Finanzierung beschafft, sondern auch beschlossen, die Expedition selbst zu leiten.“ (MICHAIL, S. 146/147)
Zu Anfang des Buches fand ich es etwas anstrengend, in die
Geschichten hineinzukommen. Man muss sich in jedem Kapitel auf neue Personen
und Zeiten einlassen und es dauert ein bisschen, bis die Handlung in Gang
kommt. Im ersten Drittel des Romans gibt es einige Längen. Später entspinnt
sich aber eine komplexe Handlung, die Spannung entwickelt, vor allem als zur
äußeren Geschichte der Arterhaltung die inneren Konflikte der Erzählerinnen
deutlicher hinzutreten. Es entstehen glaubhafte Charaktere, deren innere Nöte
der Leser mitleidet. (Einzig Karin bleibt ein bisschen farblos.)
Maja Lunde auf der Frankfurter Buchmesse 2019 |
Die Rahmenhandlung wurde von der Autorin gut recherchiert
und basiert auf realen Geschehnissen. Sie zeigt die Zweischneidigkeit der
Arterhaltung auf. Allen Beteiligten geht es um die Erhaltung faszinierender
Tiere. Dennoch wollen die Zoologen des 19. Jahrhunderts die Tiere auch für den
Profit ausbeuten, sie verkaufen, Einnahmen in Zoos erwirtschaften, und nehmen
dazu in Kauf, dass beim Einfangen, Halten in Gefangenschaft und Transport der
Tiere über tausende Kilometer viele von ihnen sterben. Als Hamburgerin hat mir
besonders gefallen, dass die von Carl Hagenbeck organisierten „Völkerschauen“
thematisiert wurden, bei denen mit den exotischen Tiere auch indigene Menschen
mitgebracht und für Geld zur Schau gestellt wurden.
Wie schon in „Die Geschichte des Wassers“ bin ich nicht ganz
einverstanden mit dem Entwurf der Dystopie von Maja Lunde. Sie beschreibt eine
Welt nach dem Klimakollaps, die einer archaischen Welt gleicht. Die Menschen leben
vom dem, was sie in ihren Gärten anbauen oder den Fischen, die sie fangen.
Sämtliche Errungenschaften der Zivilisation funktionieren nicht mehr, da es
keinen Strom, keine Medikamente und Fortbewegungsmittel mehr gibt. Menschen
leben weitgehend wie im vorindustriellen Zeitalter und isoliert voneinander
ohne organisierte Gemeinschaften. Das kann ich nicht ganz nachvollziehen. Wenn
das Klima und die Umwelt erst derart ruiniert sind, sehe ich keinen Grund, warum
Menschen nicht weiter Atomkraftwerke betreiben würden, um Strom zu haben, das
Internet am Laufen zu halten, die vorhandenen Satelliten zu nutzen etc. Maja
Lunde geht von einem Weltkrieg nach dem Klimakollaps aus, der diese
Infrastruktur zerstört. Der Zustand gleicht dem nach dem 2. Weltkrieg. Ich
stelle mir das wahrscheinliche Szenario deutlich anders vor. Lässt man sich
aber auf die von der Autorin dargestellte Situation ein, ist sie in sich
stimmig.
Ich bin ein Fan von Lundes „Die Geschichte der Bienen“, war
dann aber von „Die Geschichte des Wassers“ enttäuscht. Der dritte Teil des
Klimaquartetts ist wieder deutlich besser und lebendiger gelungen. Trotz der Dystopie
empfinde ich diesen Roman insgesamt als nicht ganz so düster und deprimierend
wie den zweiten Teil.
Ein komplexer,
spannender Roman, der mit „Die Geschichte der Bienen“ mithalten kann. Man
braucht etwas Durchhaltevermögen beim Lesen, wird dafür aber belohnt.
Die Letzten ihrer Art, Maja Lunde, aus dem Norwegischen von Ursel
Allenstein, btb Verlag, Random House Gruppe, München 2019, 640 Seiten, 22,00
EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher
Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung
gestellte Rezensionsexemplar.)
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