Ich erzähle furchtbar gern Geschichten und lese gerne vor.
Ich wurde auf eine wunderbare Vorlese-Aktion aufmerksam: An jedem dritten Freitag
im November findet seit 2004 der Bundesweite Vorlesetag statt. Er wird
veranstaltet von der Stiftung Lesen, der Wochenzeitung Die Zeit und der
Deutsche Bahn Stiftung. Dieses Jahr, am 15. November 2019 haben fast 700.000
Menschen mitgemacht als Lesende oder Zuhörende. Das Jahresmotto war dieses Mal „Sport
und Bewegung“.
Bei so einer tollen Veranstaltung wollte ich auch gern
mitmachen und habe in meiner Kirchengemeinde angefragt, ob Interesse an einem
Vorlesenachmittag besteht. Die Evangelisch –lutherische Kirchengemeinde
Hamburg-Stellingen war angetan von der Idee, das Team der Familienkirche
verlegte kurzerhand ihren sonst samstags stattfindenden Termin auf Freitag vor
und unterstützte die Aktion nicht nur durch zahlreiches Erscheinen, sondern
auch durch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer am großen Tag. An dieser Stelle
sage ich ganz herzlichen Dank an alle aus dem Team und unsere Pastorin Gabriele
Voigt für ihre Begeisterung und Unterstützung dieser schönen Aktion.
Um 15 h ging unser Programm los, zunächst für die Kleinsten,
nämlich Kinder bis zu 6 Jahren. Eine Gruppe von ca. 10 Kindern mit ihren
Eltern, Omas oder Paten versammelte sich auf Sitzkissen im Altarraum der durch
Kerzen erhellten Kreuzkirche in Hamburg-Stellingen. Dieser Gruppe habe ich das Bilderbuch
„Na klar, Lotta kann Rad fahren“ von Astrid Lindgren (erschienen im Verlag
Friedrich Oetinger, Hamburg) vorgelesen. Eine Helferin hielt das Bilderbuch
hoch, so dass alle die schönen Illustrationen von Ilon Wikland sehen konnten,
während ich las. Als ich zur Einstimmung auf das Buch fragte, welche
Erfahrungen die Kinder mit dem Radfahren-Lernen gemacht hätten, berichteten sie
begeistert. Fast alle hatten schon selbst erlebt, dass man zu Anfang noch Hilfe
braucht, manchmal umfällt mit dem Rad und sich sogar ein bisschen wehtun kann.
Da verwunderte es nicht, dass die Kinder mit viel Emotion der Geschichte
folgten. An ihren Gesichtern war abzulesen, wie sie mit Lotta mitlitten, als
diese vom viel zu großen gemopsten Fahrrad fiel und ihr neues Armband im
Rosenstrauch verlor. Ein Kind musste sich eng an seine Mama kuscheln bei so
viel Aufregung. Die Lesezeit von gut einer Viertelstunde verbrachten die
Kleinen sehr konzentriert.
Danach war Bewegung angesagt. Ich zeigte den Kindern anhand
einiger mitgebrachter Beispiele, wie unterschiedlich Bücher sein können. Groß
und dünn wie ein Bilderbuch, klein und dick wie ein Geschichtenbuch für
Größere, im Miniformat in der Größe einer Streichholzschachtel oder als
modernes ebook. Die Kinder gingen in der Kirche auf Entdeckungstour, um alle
Bücher zu finden, die es in der Kirche gibt. Wir schauten uns gemeinsam die
Bibel mit Goldschnitt auf dem Altar an, fanden ein Gesangbuch in den Sitzreihen
und endeten vor dem großen Schaukasten, in dem die Gemeinde eine ca. 300 Jahre
alte großformatige Bibel ausstellt. Das Gedränge um den Hocker vor der Vitrine
war groß, alle wollten das kostbare schwere Buch aus der Nähe sehen.
Zu einer kleinen Stärkung sammelten wir uns im Gemeindesaal
und veranstalteten danach einen Büchertausch. Einige Besucherinnen und Besucher
hatten ausgelesene Bücher zum Tauschen mitgebracht, aufgestockt wurde das
Angebot durch Bücher, die der Gemeinde gestiftet worden waren. So wechselten
viele Bände die Besitzer, leuchtende Kinderaugen besahen sich die neuen
Buchschätze.
Gegen 16 h gingen wir in die nächste Vorleserunde, die für
Kinder zwischen 6 und 12 Jahren gedacht war. Da es einigen aus der ersten
Gruppe so gut gefallen hatte, blieben sie auch zur zweiten Lesung da. Ich las
Auszüge aus dem 2. Band der Reihe „Der zauberhafte Wunschbuchladen“ von Katja
Frixe (erschienen im Dressler Verlag, Hamburg) vor, mit dem Untertitel „Der
hamsterstarke Harry“. Das kleine Fellknäuel ist ein tierischer Zirkusartist,
der aus seinem Buch im zauberhaften Wunschbuchladen gefallen ist. Eine Gruppe
von wiederum ca. 10 Kindern schloss den Kreis um mich. Die Spannung war bereits
nach wenigen Minuten so groß, dass die Kinder sich um mich drängten, um einen
Blick ins Buch zu erhaschen (herrliche Bilder von Florentine Prechtel!) und vielleicht
auch, um beim Kuscheln ein bisschen Aufregung loslassen zu können.
Meine geplante Lesezeit habe ich um das Doppelte überschritten,
denn die begeisterten Zuhörer hatten (gefühlt alle 2 Minuten) jede Menge
aufgeregte Fragen und Ideen, die unbedingt mitgeteilt werden mussten. An einer
Stelle balanciert der Hamster auf einer Wäscheleine im Garten. Da wurde dann
diskutiert wie genau der Hamster so hoch hinauf geklettert sein konnte. Zuvor
war er aus einem alten Puppenhaus entwischt. Die Kinder hatten die tollsten
Ideen, wie er es geschafft hatte, aus der Tür oder dem Fenster hinauszugelangen.
Auch das generelle Schicksal von Tieren, die in Zirkussen auftreten, wurde von
den Kindern angesprochen. Alle waren sich einig, dass Tiere dort nicht zum
Vergnügen der Menschen gequält werden dürfen und waren sehr froh, dass der
besondere Hamster in der Geschichte sehr gern und aus eigenem Antrieb
Kunststücke machte, auch wenn ihm niemand zusah. Ich hatte das Gefühl, meine
Zuhörerinnen und Zuhörer wären am liebsten in das Buch hineingekrochen, mit
solchem Feuereifer verfolgten sie das Schicksal des kleinen Hamsters. So
leuchtende Kinderaugen beim Vorlesen sind das Schönste, was ich mir als
Vorlesende wünschen konnte.
Als ich nach ca. 45 Minuten die Lesung trotz Protest
beendete, wurde ich mit Fragen nach dem Fortgang des Buches bestürmt. Ich
hoffe, einige der Kinder werden das Buch selbst lesen oder vorgelesen bekommen.
Ich konnte die kleine Bande dann aber recht bald ablenken durch den nächsten
Programmpunkt: Bücher basteln.
Aus einem YouTube-Video hatte ich mir abgeschaut, wie man
mit Origamitechnik Minibücher aus Papier falten kann. Außen ist ein bunter
Buchumschlag, innen weiße Seiten (so dass man es als Notizbuch verwenden kann)
und oben kann eine Schlaufe aus Geschenkband angeklebt werden, so dass man das
Buch als Deko aufhängen oder als Geschenkanhänger benutzen kann. Die Kinder
falteten begeistert mit – manche mit einiger Unterstützung durch Eltern und
Helferinnen – und waren sehr stolz auf unsere fertigen Werke.
Ich persönlich bin der Meinung, dass Vorlesen nicht nur
etwas für Kinder ist, sondern auch Erwachsenen Freude macht. Nicht umsonst gibt
es ein großes Angebot an Autorenlesungen. Diese Meinung scheinen nicht alle
Großen zu teilen, denn zu der für 17 h geplanten Lesung für Erwachsene erschien
leider – niemand. Die freie Zeit nutzten wir unverdrossen zum Bücher falten,
nachdem die Lesung ja deutlich länger als geplant gewesen war. Und so war es
ein wunderschöner, runder Nachmittag, der mir unendlich viel Freude gemacht
hat. Nächstes Jahr wollen wir wieder mitmachen beim Bundesweiten Vorlesetag.
Ihr auch?
Zusatz-Info:
Mitmachen darf jeder beim Bundesweiten Vorlesetag. Jede/r
Vorlesende darf den Ort der Lesung selbst bestimmen, etwa in Schulen,
Kindergärten, Bibliotheken, Turnhallen, Privatwohnungen oder Plätzen im Freien.
Die Lesung darf öffentlich oder für einen begrenzten Personenkreis
nichtöffentlich stattfinden. Alle Teilnehmenden können ihre Veranstaltung anmelden
unter www.vorlesetag.de, so dass andere in der Region davon erfahren. Auf der
Website gibt es weitere Informationen, Tipps zur Buchauswahl und
bundeseinheitliche Werbeplakate zum kostenlosen Download.
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