Donnerstag, 24. Oktober 2019

Frankfurter Buchmesse 2019, Tag 1


Dieses Jahr habe ich zum ersten Mal an allen Tagen der Frankfurter Buchmesse, die am Mittwoch, den 16. Oktober 2019 begann, teilgenommen. Als Bloggerin hatte ich Zugang zu den Fachbesuchertagen, die für mich der spannendste Teil der Messe waren. (Und nicht so überfüllt wie am Wochenende.) Die Tage waren so vollgepackt, dass ich (anders als in Leipzig) nicht jeden Abend bloggen konnte, sondern nur rasch Bilder auf Instagram hochgeladen habe. Dennoch möchte ich einen ausführlichen Bericht der einzelnen Messetage geben, die alle sehr interessant waren. Insgesamt war die Messe wieder ein wunderbares Erlebnis.

Buchpreisgewinner Saša Stanišič

Wie jedes Jahr wurde kurz vor der Buchmesse der Deutsche Buchpreis verliehen. Gewonnen hat Saša Stanišič mit seinem Roman „Herkunft“. So kam es, dass der sympathische Preisträger natürlich zu den begehrtesten Talkgästen gehörte.

Seinen Roman verfasste er auf Deutsch, obwohl dies nicht seine Muttersprache ist. Er war als Jugendlicher mit seiner Mutter während des Jugoslawienkrieges nach Deutschland geflüchtet. Stanišič berichtete im Interview auf dem Blauen Sofa des ZDF, das das Schreiben für ihn als eine Aneignung des Lebens funktioniere. Es habe ihm nach seiner Ankunft in Deutschland viel daran gelegen, schnell Deutsch zu lernen (was er nun akzentfrei spricht). Die neue Sprache sei sein Rückzugsort gewesen. Er habe mit seiner Familie in einer beengten Unterkunft gelebt, so dass ein Rückzug von der Familie räumlich nicht möglich gewesen sei. Da er aber schneller Deutsch gelernt habe als andere Familienmitglieder, sei ein Rückzug in die deutsche Sprache möglich geworden. Er habe zuhause keinen Raum zum Lernen und Lesen gehabt, dann aber einen Jägersitz im Wald gefunden, wohin er sich zum Lesen deutscher Literatur zurückgezogen habe. Eindrucksvoll berichtete Stanišič, dass sein erstes deutsches Buch, das er dort gelesen habe, „Kleiner Mann, was nun?“ von Hans Fallada gewesen sei. Daher freue er sich besonders, in diesem Jahr auch den Hans Fallada-Preis gewonnen zu haben. (Der Preis wird im März 2020 verliehen.)

Natürlich spielte auch Saša Stanišičs Preisrede bei der Verleihung des Buchpreises eine Rolle, in der er sich kritisch über die Verleihung des Literaturnobelpreises an Peter Handke geäußert hatte. Er berichtete, dass er keine Wut auf Peter Handke verspüre, der Greueltaten des Jugoslawienkrieges geleugnet hatte, sondern eher Erschütterung darüber empfinde, dass das Nobelpreiskommitee Handkes Texte über Serbien und Bosnien im Rahmen seines Gesamtwerks anders gewichtet habe, als er es für richtig empfunden hätte. Die Gewichtung zwischen „Literatur und Ignoranz“ sei für ihn eine andere. Daher wolle er gern eine Debatte darüber anstoßen, wie man sich die Wirklichkeit durch Literatur aneigne und welche Grenzen es dabei gebe.

Leider habe ich den Roman „Herkunft“ noch nicht gelesen. Es steht aber ganz oben auf meiner Wunschliste.

BuchhändlerIn versus Story Seller
Werbekampagne des Börsenvereins

Die Zukunft des stationären Buchhandels in Zeiten der Digitalisierung wurde – wie schon im Vorjahr – heiß diskutiert, u.a. in einer Podiumsdiskussion, die vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels organisiert war. Die TeilnehmerInnen kamen aus der Verlagsbranche, dem Buchhandel und vom Börsenverein.

Der Begriff des Buchhändlers wurde teilweise als verstaubt wahrgenommen, da es mehr und mehr nicht nur um das gedruckte Buch, sondern um den Verkauf von Inhalten in unterschiedlicher Form gehe. Daher sei der Begriff des „Story Sellers“ vielleicht in Zukunft angemessener. Der Verlagsvertreter stellte klar, dass es aus seiner Sicht auch in Zukunft keine Verlage ohne stationären Buchhandel geben könne.

Einig waren sich die Diskutanten darüber, dass die Buchhandlung ein Erlebnisort sein müsse. Für KundInnen stehe nicht mehr das Produkt Buch im Mittelpunkt, das man jederzeit und überall erwerben könne, sondern das Erlebnis des Buchhandlungsbesuchs, bei dem es um das Zusammenkommen mit anderen Menschen, die persönliche Beratung durch BuchhändlerInnen und das Sich-selbst-beschenken gehe. Der Besuch der Buchhandlung solle mit einem Glücksgefühl einhergehen. In diesem Zusammenhang sei es zu sehen, dass insbesondere die großen Filialisten derzeit neue Ladenkonzepte erprobten und z.B. Veranstaltungen wie eine Silent Disco anböten. Auch für kleinere Buchläden haben Veranstaltungen wie Lesungen einen größer werdenden Stellenwert. Das neue Luxusgut sei Zeit, die man nur mit einer einzigen Sache verbringen dürfe. Digitalisierung könne das persönliche Gespräch über Literatur nie ersetzen. Als Gegenkultur zum Handy stehe Entschleunigung durch Lesen hoch im Kurs.

In der Diskussion wurde klar, dass es kein Patentrezept gibt, das für alle Buchhandlungen den Weg in die Zukunft ebnen kann. Wichtig sei, dass jede Buchhandlung ein individuelles Konzept habe, das an den Standort und die eigene Kundschaft angepasst sei. Wichtig sei also, dass Entscheidungskompetenzen über Einkauf und Veranstaltungen dezentral vor Ort angesiedelt seien und vermehrt junge Menschen als BuchhändlerInnen gewonnen würden. Die Bedeutung der Leseförderung an Schulen durch den Buchhandel wurde als bedeutsam herausgestellt, um eine nachwachsende Leserschaft zu garantieren.

Als Projekt für die Zukunft waren sich Verlagsvertreter und Buchhändler darüber einig, dass mehr gegenseitige Verstärkung stattfinden müsse. Die Verlage könnten dem Buchhandel besser aufbereiteten Content zu ihren Büchern zur Verfügung stellen, damit dieser vom Handel stärker auf den Social Media Kanälen verbreitet werden könnte. Die zeitaufwändige Erstellung eigenen Contents lohne sich gerade für kleinere Buchläden oft nicht. Auch sollten sich Verlage und Handel stärker gegenseitig reposten und taggen, um die Sichtbarkeit in Social Media zu verstärken. Social Media erreiche bei Weitem nicht nur junge Menschen, sondern vermehrt auch die Altersgruppe von 45 bis 65 Jahren.

Doris Dörrie, Leben, Schreiben, Atmen

Doris Dörries Buch habe ich auf dem Blog bereits besprochen (vgl. meine Rezension). Es war interessant, die Autorin im Interview noch einmal über das Buch sprechen zu hören. Doris Dörrie rühmt sich, sie könne jedem binnen 10 Minuten beibringen zu Schreiben. (Dies stellt sie in ihren Workshops regelmäßig unter Beweis.) Sie sehe, wie glücklich die Erkenntnis Menschen mache: Ich kann schreiben!

Es gehe ihr in erster Linie darum Menschen zu zeigen, wie reich das eigene Leben sei, wenn man richtig hinschaue. Jeder habe etwas zu erzählen. Dies wirke wunderbar dem verbreiteten Gefühl des eigenen Nichtgenügens entgegen, dem Gefühl, das eigene Leben sei so klein.

Ob ihre Technik des Schreibens denn immer funktioniere? Dazu sagt Doris Dörrie: „Schreibblockaden leisten sich nur Autoren, die zu viel Zeit haben.“ Sie berichtete von ihrem Alltag als arbeitende Mutter, in dem sie jedes 10 Minuten-Zeitfenster zum Schreiben genutzt habe, eben die Zeit, die der Reis zum Kochen brauchte. „Bei Pasta sind es sogar nur 8 Minuten.“ Es gehe darum, jede Möglichkeit zum Schreiben zu nutzen und dass 10 Minuten genug sein könnten.

Ob Wahrheit eine Rolle bei diesem Schreiben spiele? Doris Dörrie erklärte, dass man sich schreibend auf die Schliche kommen könne, wo man die eigene Geschichte in der Erinnerung verändert habe. So erinnere man sich manchmal an Ereignisse, obwohl man nachweislich gar nicht dabei war. Das sei doch interessant.

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