Dieses Jahr habe ich zum ersten Mal an allen Tagen der
Frankfurter Buchmesse, die am Mittwoch, den 16. Oktober 2019 begann,
teilgenommen. Als Bloggerin hatte ich Zugang zu den Fachbesuchertagen, die für
mich der spannendste Teil der Messe waren. (Und nicht so überfüllt wie am
Wochenende.) Die Tage waren so vollgepackt, dass ich (anders als in Leipzig)
nicht jeden Abend bloggen konnte, sondern nur rasch Bilder auf Instagram
hochgeladen habe. Dennoch möchte ich einen ausführlichen Bericht der einzelnen
Messetage geben, die alle sehr interessant waren. Insgesamt war die Messe
wieder ein wunderbares Erlebnis.
Buchpreisgewinner Saša
Stanišič
Wie jedes Jahr wurde kurz vor der Buchmesse der Deutsche
Buchpreis verliehen. Gewonnen hat Saša Stanišič mit seinem Roman „Herkunft“. So
kam es, dass der sympathische Preisträger natürlich zu den begehrtesten
Talkgästen gehörte.
Seinen Roman verfasste er auf Deutsch, obwohl dies nicht
seine Muttersprache ist. Er war als Jugendlicher mit seiner Mutter während des
Jugoslawienkrieges nach Deutschland geflüchtet. Stanišič berichtete im
Interview auf dem Blauen Sofa des ZDF, das das Schreiben für ihn als eine
Aneignung des Lebens funktioniere. Es habe ihm nach seiner Ankunft in
Deutschland viel daran gelegen, schnell Deutsch zu lernen (was er nun
akzentfrei spricht). Die neue Sprache sei sein Rückzugsort gewesen. Er habe mit
seiner Familie in einer beengten Unterkunft gelebt, so dass ein Rückzug von der
Familie räumlich nicht möglich gewesen sei. Da er aber schneller Deutsch
gelernt habe als andere Familienmitglieder, sei ein Rückzug in die deutsche
Sprache möglich geworden. Er habe zuhause keinen Raum zum Lernen und Lesen gehabt,
dann aber einen Jägersitz im Wald gefunden, wohin er sich zum Lesen deutscher
Literatur zurückgezogen habe. Eindrucksvoll berichtete Stanišič, dass sein
erstes deutsches Buch, das er dort gelesen habe, „Kleiner Mann, was nun?“ von
Hans Fallada gewesen sei. Daher freue er sich besonders, in diesem Jahr auch
den Hans Fallada-Preis gewonnen zu haben. (Der Preis wird im März 2020
verliehen.)
Natürlich spielte auch Saša Stanišičs Preisrede bei der
Verleihung des Buchpreises eine Rolle, in der er sich kritisch über die
Verleihung des Literaturnobelpreises an Peter Handke geäußert hatte. Er
berichtete, dass er keine Wut auf Peter Handke verspüre, der Greueltaten des
Jugoslawienkrieges geleugnet hatte, sondern eher Erschütterung darüber
empfinde, dass das Nobelpreiskommitee Handkes Texte über Serbien und Bosnien im
Rahmen seines Gesamtwerks anders gewichtet habe, als er es für richtig
empfunden hätte. Die Gewichtung zwischen „Literatur und Ignoranz“ sei für ihn
eine andere. Daher wolle er gern eine Debatte darüber anstoßen, wie man sich
die Wirklichkeit durch Literatur aneigne und welche Grenzen es dabei gebe.
Leider habe ich den Roman „Herkunft“ noch nicht gelesen. Es
steht aber ganz oben auf meiner Wunschliste.
Die Zukunft des stationären Buchhandels in Zeiten der
Digitalisierung wurde – wie schon im Vorjahr – heiß diskutiert, u.a. in einer
Podiumsdiskussion, die vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels organisiert
war. Die TeilnehmerInnen kamen aus der Verlagsbranche, dem Buchhandel und vom
Börsenverein.
Der Begriff des Buchhändlers wurde teilweise als verstaubt
wahrgenommen, da es mehr und mehr nicht nur um das gedruckte Buch, sondern um
den Verkauf von Inhalten in unterschiedlicher Form gehe. Daher sei der Begriff des
„Story Sellers“ vielleicht in Zukunft angemessener. Der Verlagsvertreter
stellte klar, dass es aus seiner Sicht auch in Zukunft keine Verlage ohne
stationären Buchhandel geben könne.
Einig waren sich die Diskutanten darüber, dass die
Buchhandlung ein Erlebnisort sein müsse. Für KundInnen stehe nicht mehr das
Produkt Buch im Mittelpunkt, das man jederzeit und überall erwerben könne, sondern
das Erlebnis des Buchhandlungsbesuchs, bei dem es um das Zusammenkommen mit
anderen Menschen, die persönliche Beratung durch BuchhändlerInnen und das
Sich-selbst-beschenken gehe. Der Besuch der Buchhandlung solle mit einem
Glücksgefühl einhergehen. In diesem Zusammenhang sei es zu sehen, dass
insbesondere die großen Filialisten derzeit neue Ladenkonzepte erprobten und
z.B. Veranstaltungen wie eine Silent Disco anböten. Auch für kleinere Buchläden
haben Veranstaltungen wie Lesungen einen größer werdenden Stellenwert. Das neue
Luxusgut sei Zeit, die man nur mit einer einzigen Sache verbringen dürfe. Digitalisierung
könne das persönliche Gespräch über Literatur nie ersetzen. Als Gegenkultur zum
Handy stehe Entschleunigung durch Lesen hoch im Kurs.
In der Diskussion wurde klar, dass es kein Patentrezept
gibt, das für alle Buchhandlungen den Weg in die Zukunft ebnen kann. Wichtig
sei, dass jede Buchhandlung ein individuelles Konzept habe, das an den Standort
und die eigene Kundschaft angepasst sei. Wichtig sei also, dass
Entscheidungskompetenzen über Einkauf und Veranstaltungen dezentral vor Ort
angesiedelt seien und vermehrt junge Menschen als BuchhändlerInnen gewonnen
würden. Die Bedeutung der Leseförderung an Schulen durch den Buchhandel wurde als
bedeutsam herausgestellt, um eine nachwachsende Leserschaft zu garantieren.
Als Projekt für die Zukunft waren sich Verlagsvertreter und
Buchhändler darüber einig, dass mehr gegenseitige Verstärkung stattfinden
müsse. Die Verlage könnten dem Buchhandel besser aufbereiteten Content zu ihren
Büchern zur Verfügung stellen, damit dieser vom Handel stärker auf den Social Media
Kanälen verbreitet werden könnte. Die zeitaufwändige Erstellung eigenen
Contents lohne sich gerade für kleinere Buchläden oft nicht. Auch sollten sich
Verlage und Handel stärker gegenseitig reposten und taggen, um die Sichtbarkeit
in Social Media zu verstärken. Social Media erreiche bei Weitem nicht nur junge
Menschen, sondern vermehrt auch die Altersgruppe von 45 bis 65 Jahren.
Doris Dörrie, Leben,
Schreiben, Atmen
Doris Dörries Buch habe ich auf dem Blog bereits besprochen
(vgl. meine Rezension). Es war interessant, die Autorin im Interview noch
einmal über das Buch sprechen zu hören. Doris Dörrie rühmt sich, sie könne
jedem binnen 10 Minuten beibringen zu Schreiben. (Dies stellt sie in ihren
Workshops regelmäßig unter Beweis.) Sie sehe, wie glücklich die Erkenntnis
Menschen mache: Ich kann schreiben!
Es gehe ihr in erster Linie darum Menschen zu zeigen, wie
reich das eigene Leben sei, wenn man richtig hinschaue. Jeder habe etwas zu
erzählen. Dies wirke wunderbar dem verbreiteten Gefühl des eigenen
Nichtgenügens entgegen, dem Gefühl, das eigene Leben sei so klein.
Ob ihre Technik des Schreibens denn immer funktioniere? Dazu
sagt Doris Dörrie: „Schreibblockaden leisten sich nur Autoren, die zu viel Zeit
haben.“ Sie berichtete von ihrem Alltag als arbeitende Mutter, in dem sie jedes
10 Minuten-Zeitfenster zum Schreiben genutzt habe, eben die Zeit, die der Reis
zum Kochen brauchte. „Bei Pasta sind es sogar nur 8 Minuten.“ Es gehe darum,
jede Möglichkeit zum Schreiben zu nutzen und dass 10 Minuten genug sein
könnten.
Ob Wahrheit eine Rolle bei diesem Schreiben spiele? Doris
Dörrie erklärte, dass man sich schreibend auf die Schliche kommen könne, wo man
die eigene Geschichte in der Erinnerung verändert habe. So erinnere man sich
manchmal an Ereignisse, obwohl man nachweislich gar nicht dabei war. Das sei
doch interessant.
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