Was ist die Zeit? Gibt es sie überhaupt? Oder ist sie eine
menschliche Erfindung, eine Krücke, weil wir es nicht besser wissen? Mit diesen
interessanten, ja, philosophischen Fragen beschäftigt sich der Roman auf vergnügliche Weise.
Erzählt wird die Geschichte von Peter Taler, einem
Buchhalter in den Vierzigern. Vor einem Jahr wurde seine Frau Laura vor der eigenen Haustür
erschossen. Der Täter wurde bisher nicht gefasst, ein Motiv ist nicht
ersichtlich. Taler trauert, ist aber auch hilflos und wütend. Er sinnt auf
Rache. Aber gegen wen?
In seiner Straße lebt ein alter Witwer, der von den Nachbarn
aufgrund seiner Absonderlichkeit gemieden wird. Durch ein seltsames
Buch, das Talers verstorbene Frau wohl noch antiquarisch bestellt hatte,
kommen die beiden ins Gespräch. Der alte Knupp erklärt Peter Taler, die Zeit
gäbe es gar nicht. Nun ist Taler sich endgültig sicher: Der Alte spinnt! Diese
Theorie ist einfach verrückt.
„Dieses ständige Werden und Vergehen hat nur einen einzigen Zweck: Es täuscht vor, dass die Zeit verstreicht.“ (…)„Die Veränderung schafft die Illusion von Zeit. Die Wiederholung ist ihr Tod. Ein Tag, an dem alles gleich ist wie am Vortag, wäre der Beweis, dass es in Wirklichkeit die Zeit ist, die ausbleibt. Und ein Tag, an dem alles gleich ist wie an einem Tag vor Jahren, erst recht.“Er wartete einen Moment, bis er den Eindruck hatte, Taler sei ihm gefolgt. Dann fuhr er fort: „Es gibt nur ein Indiz dafür, dass die Zeit vergeht: Veränderung. Die Zeit ist wie eine Krankheit. Man erkennt sie nur an ihren Symptomen. Wenn die weg sind, dann ist auch die Krankheit weg.“ (S. 59)
Knupp scheint besessen zu sein von seiner Theorie. Glaubt er
an Zeitreisen in die Vergangenheit? Auch macht Knupp dauernd Fotos, um
Veränderungen zu dokumentieren. Peter Taler wird den Eindruck nicht los, dass
der Alte etwas über den Tod seiner Frau wissen könnte, vielleicht zufällig
etwas fotografiert hat, es aber für sich behält. Ist das Talers Chance den
Mörder zu finden, den die Polizei vergeblich sucht? Er weiß nur, dass die Zeit
seit Lauras Tod unendlich langsam verstreicht.
Der Roman ist ein „echter Suter“, spannend, und mit einem
gekonnten Mix aus Realität und Phantastischem. Ist der Alte nun verrückt? Oder
hat er wie ein Galileo der Postmoderne eine bahnbrechende Entdeckung gemacht? Diese Frage wird erst auf den
letzten Seiten des Buches in überraschender Weise aufgelöst. Die Geschichte ist
köstlich konstruiert, mit Liebe zum Detail erzählt, das Handeln der Charaktere menschlich nachvollziehbar.
Wie oft bei Suter streift die Handlung das Übernatürliche nur am Rande, lassen sich
die Dinge meist noch irgendwie rational erklären. Das macht den besonderen Reiz
aus. Ich habe das Buch sehr gern gelesen.
Eine gelungene und
spannende Geschichte über die Sehnsucht, die Zeit zurückdrehen zu können.
Tolles Ende!
Die Zeit, die Zeit, Martin Suter, Diogenes Verlag, Zürich
2013, 304 Seiten, 13,00 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher
Erlaubnis des Verlags.)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen