Außer dem Dreiergespann erzählt uns auch Moritz‘ Mutter
Marie einen Teil dieser vielschichtigen Geschichte. Sie möchte nur das Beste
für ihre Kinder und ist daher mit ihnen aufs Dorf gezogen, als es sich so
ergab. Dort lernt sie Raffaels Mutter Sabrina und deren Mann kennen. Eine
wirkliche Freundschaft wird daraus nicht.
Der Roman springt zwischen verschiedenen Zeitebenen und
Personen hin und her, von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter der drei Freunde,
und webt so ein Beziehungsgeflecht zwischen Familien, Freunden und Nachbarn.
Wer kann es entwirren? Wer ist mit wem befreundet? Und verstehen überhaupt alle
das Gleiche unter dem Begriff Freundschaft? Wem kann man vertrauen und vom wem
Hilfe erwarten? Wann ist es in einer Beziehung wichtig, einfach loyal zu sein
und wann muss man sich abgrenzen, seine Meinung sagen, etwas anders machen? Und
wenn etwas schief läuft – sollte man das ansprechen? Oder ist es nicht doch
besser, es bleibt ungesagt? Verletzt es dann weniger?
In diesem Buch sehen wir alle Ausprägungen menschlicher
Beziehungen von Gleichgültigkeit, Aufrechterhalten einer unechten Fassade über
Freundschaft und Liebe bis hin zur Hörigkeit. Wie kommt es zu diesen
Beziehungen? Sind wir selbst daran schuld durch unser Verhalten, oder sind
manche Menschen einfach von Geburt an so und nicht anders, können nur diese Art
der Beziehung leben und keine andere? Je nachdem wie wir unsere Beziehungen
leben, werden unsere Zukunftserwartungen geprägt. Folge ich meinem Plan oder
nehme ich Rücksicht auf andere, übernehme Verantwortung? Geht beides?
Mareike Fallwickl hat realistische, interessante Charaktere
geschaffen, die Ecken und Kanten sowie menschliche Schwächen haben. Nicht alle sind
sympathisch. Auch wenn man ihnen manchmal zurufen möchte, „Tu das und das!“,
kann man doch nachvollziehen, warum sie anders handeln. Wer von uns kann sich
schon von allen Abhängigkeiten und familiären Erwartungen befreien, wen treibt
nicht die Sehnsucht nach etwas. Mir gefällt die wunderschöne bildhafte Sprache der
Autorin, mit der sie die Gefühle der Figuren schildert.
„MORITZ – 2017Die Musik wummert ihm den Herzschlag weg. Sie dringt in seinen Körper ein, nicht nur durch die Ohren, auch durch die Haut, durch jede Pore, umwickelt seine Knochen, setzt ihn neu zusammen. (…) Der Alkohol schwemmt die Wurzeln fort, die ihn so fest halten. Wenn Gin und Whiskey durch sein Blut jagen, bleibt kein Platz für das Unbeherrschbare, das ihn sonderbar macht und hilflos. Sobald Moritz betrunken ist, haben die Dinge und die Menschen und die Lichter keine Grenzen. Alles verliert sich, er muss sich nicht fürchten vor einzelnen Wahrnehmungen, die herausfallen aus dem Normalen. (…) Er hält der Musik nichts entgegen, sinkt in sie hinein, greift durch ihr weiches Gewebe bis hinunter zu ihrer Struktur, lässt davon seine Bewegungen bestimmen.“ (S. 105)
Die Zusammenhänge der Geschichte sind sehr komplex, es bleibt
bis zum Schluss spannend. Der Roman hinterlässt mich fassungslos darüber, was
Menschen einander alles antun können.
Ein sehr gelungener
Roman, der mich zwischen Wut, Mitleid und Hoffnung hin und her geworfen hat.
Eine starke, spannende Geschichte, die mitreißt.
Dunkelgrün, fast schwarz, Mareike Fallwickl, Penguin Verlag,
München 2019, 480 Seiten, 12,00 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher
Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung
gestellte Rezensionsexemplar.)
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