Donnerstag, 26. September 2019

Adler und Engel, Juli Zeh

Das Leben ist kompliziert. Und nicht mehr lebenswert. Das jedenfalls findet Max. Der erfolgreiche Jurist von Mitte dreißig hat am Telefon den Selbstmord einer Freundin miterlebt. Warum hat sie das getan? Max war mit Jessie seit der Schulzeit befreundet. Nun arbeitet Max nicht mehr, kümmert sich um nichts mehr, hängt im Schockzustand herum und könnte genauso gut selber tot sein, findet er. Deshalb kokst er auch Tag und Nacht. Irgendwie muss man den Rest des Lebens ja ertragen.

Zweimal die Woche hört Max nachts eine Radiosendung. Die hippe Moderatorin Clara nimmt Anrufe von Menschen entgegen, die von ihren Problemen erzählen. Eines Nachts ruft auch Max dort an. Clara erscheint ihm so vertraut. Er ist mehr als überrascht, als er Clara schließlich persönlich kennenlernt.


Max versucht mit Claras Hilfe zu verstehen, was geschehen ist. Von seiner jetzigen Bleibe in Leipzig aus geht er zurück nach Wien, wo er lange Zeit gelebt und in einer großen Kanzlei für Völkerrecht gearbeitet hat. Er findet Querverbindungen, die ihn verblüffen. Wer kennt wen und in welchem Zusammenhang? Was hat das mit Jessies Selbstmord zu tun? Bildet er sich das alles nur ein in seinem Drogenrausch? Oder ist er am Ende psychisch krank?

„Außerdem, sagt sie, gibt es zwei Seiten in mir. Die eine will Radio machen und den Leuten beibringen, wie scheißegal alles ist. Dass nur eine Sache ein bisschen Linderung von der großen, umfassenden Langeweile verschaffen kann: nämlich die Macht über andere Menschen.
Ich fürchte, sagte ich, das weiß die Menschheit bereits.
Dann sollen sie aufhören mit der Heuchelei, sagt Clara.
Und die andere Seite?
Meine andere Seite gehört Leuten wie meinem Professor.
Was willst du von ihm?
Er soll es mir schriftlich geben, dass ich nicht nur genauso intelligent bin wie er, sondern auch genauso rücksichtslos.
Wem gegenüber, frage ich.
Natürlich mir selbst gegenüber, sagte sie.
Wahrscheinlich wirst du nicht antworten, wenn ich frage, wozu das gut sein soll.
Ganz recht, sagt sie.“ (S, 220)

Dieser Roman hat mich eingesogen von der ersten Seite an. Eine spannende Geschichte, die zuerst nach einer persönlichen Tragödie aussieht. Mehr und mehr verstricken sich aber die Handelnden zu einem mörderischen Geflecht unterschiedlicher Interessen und verborgener Identitäten. Nichts ist wie es scheint. Organisierte Kriminalität und internationale Beziehungen könnten dahinter stehen, schließlich befindet sich in Wien ein Sitz der UNO. Aber ist das nicht ein bisschen zu weit hergeholt? Juli Zehs allererster Roman bleibt spannend bis zum Schluss.

Ein faszinierender Psychothriller, mit Witz und Raffinesse komponiert, atemberaubend bis zur letzten Seite!

Adler und Engel, Juli Zeh, btb Verlag (Random House Gruppe), München 2003, 448 Seiten, 11,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Alles überstanden?, Christian Drosten, Georg Mascolo

Die Corona-Pandemie hat uns alle geprägt, bewegt, zur Verzweiflung gebracht. Mich hat der Podcast von Christian Drosten durch die Pandemie...