Der Untertitel dieses Buches hatte mich neugierig gemacht:
Wie eine 84-jährige Frau mich inspirierte, ein Jahr voller Herausforderungen zu
leben. So ungewöhnlich wie der Titel ist das Zustandekommen dieses Buches. Anika
Landsteiner ist Autorin und Anfang dreißig. Eines Tages bekam sie einen Anruf
von einer ihr unbekannten Dame, Emma. Die 84-jährige hatte Anikas Bild auf
einem Lesungsplakat gesehen und beschlossen, ihr das Erzählen ihrer
Lebensgeschichte anzubieten, damit diese aufgeschrieben würde. Anika bemerkte
recht bald, dass diese Frau etwas Besonderes hatte und ließ sich auf ein
Telefonat ein.
Herausgekommen ist nicht etwa eine Biografie, sondern die
Geschichte zweier sehr unterschiedlicher Frauen, deren Leben einander berührt
haben. Emma blickt auf kein einfaches Leben zurück. 1934 unehelich geboren und
vom leiblichen Vater nicht anerkannt, wird sie herumgereicht, muss in ihrer
Jugend in verschiedenen Pflegefamilien leben, erlebt den 2. Weltkrieg und dann
ein Nachkriegsdeutschland, in dem eine Frau wenig berufliche Möglichkeiten
hatte. Emma hat jedoch stets die sich ihr bietenden Gelegenheiten ergriffen und
das Beste aus ihrer Situation gemacht. Nach und nach erfährt Anika mehr und
mehr von Emma und ist sehr von ihrer Geschichte berührt.
Erzählt wird Emmas Geschichte nicht chronologisch. Vielmehr
hat die Geschichte bei Anika die Erkenntnis ausgelöst, dass sie ungleich viel
mehr Möglichkeiten im Leben hat und diese viel zu wenig nutzt. Emma inspiriert
Anika Dinge zu tun, die sie wichtig findet und die sie tun will, die sie sich
bislang aber nicht zugetraut hat. Anika nimmt sich vor, sieben Herausforderungen
innerhalb eines Jahres anzunehmen und zu leben. Dieses Buch berichtet von
Anikas Erfahrungen mit den Herausforderungen. Mitten in diesen Geschichten Anikas
wird die Geschichte Emmas erzählt, nämlich immer genau der Teil, der Anika zu
der konkreten Herausforderung geführt hat. Es entsteht ein Puzzle mit vielen
Bruchstücken, das sich mehr und mehr zusammenfügt.
"Manchen Herausforderungen fühlte ich mich gewachsen, andere machten mich neugierig, und vor zweien hatte ich richtig Angst. Ich war so aufgeregt, wie schon lange nicht mehr. Mich beschlich das Gefühl, dass ich eine Verabredung mit meinem eigenen Leben hatte. Diese Erkenntnis wischte die Sorgen zwar nicht fort, aber plötzlich bekam alles eine neue Wertigkeit. Denn in dem Moment, in dem mir klar wurde, dass ich diese Liste wirklich aktiv angehen würde, fühlte ich mich wieder als Steuerfrau. Lebendig und bereit." (S. 17)
Anikas Herausforderungen betreffen die Ergründung der
eigenen Herkunft und Familiengeschichte – eine Chance, die Emma nie hatte.
Anika macht mehrere Reisen in diesem Jahr, eine bewusst ohne Handy und Kamera,
eine allein mit ihrem Vater und eine in einen indischen Ashram. Dann ist da
noch die Reise in die Vergangenheit zu Anikas 18-jährigem Ich. Ferner
beschäftigt sie sich mit dem eigenen Tod und der Todesstrafe.
Ich empfinde dieses Buch als sehr inspirierend. Beide Frauen
sind optimistisch, voll Lebensfreude und suchen nach Tiefe in ihrem Leben. Sie
tun ungewöhnliche Dinge oder bewältigen ungewöhnliche Umstände. Sie lernen
dabei sich selbst, ihre Fähigkeiten und Grenzen besser kennen. Das Buch macht
Lust, es den beiden gleichzutun. Fragen stellen sich dem Leser: Was ist mir
wirklich wichtig im Leben? Was will ich erleben? Was will ich nicht mehr
aufschieben, weil es irgendwann zu spät sein könnte, es zu tun? Selbst die
84-jährige Emma schaut nach Beendigung des Buchprojekts weiter in die Zukunft.
Sie meint:
"Wenn man nur darüber nachdenkt, was man nicht mehr kann, kann man auch aufhören zu leben." (S. 277)
Dieses Buch macht Mut, das eigene Leben in die Hand zu
nehmen und als dessen Regisseurin selbst dafür zu sorgen, dass die Dinge passieren,
die ich mir wünsche.
Ein mitreißendes,
humorvolles Buch, das Tatendrang weckt. Los geht’s! Her mit dem prallen Leben!
Leben wird aus Mut gemacht, Anika Landsteiner, Wilhelm Goldmann
Verlag, München 2019, 288 Seiten, 10,00 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher
Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung
gestellte Rezensionsexemplar.)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen