Sonntag, 11. August 2019

Erste Hilfe, Mariana Leky

Dies ist mein dritter Roman von Mariana Leky, nach „Was man von hier aus sehen kann“ und „Die Herrenausstatterin“. Im Erzählstil ähnelt er der „Herrenausstatterin“. Es geht um Freunde, die einander beistehen, ohne viel zu fragen. Die Erzählerin lebt in einer WG mit Sylvester. Sie lernt Matilda kennen. Die beiden Frauen merken bald, dass sie ähnlich ticken. Und eines Tages fragt Matilda, ob sie über Nacht bleiben dürfe. Vielleicht auch mehrmals. Sie darf. Denn es ist offensichtlich, dass es Matilda nicht gut geht. Sie hat Angst. Angst davor, wahnsinnig zu werden. Angst davor, über die Straße zu gehen oder allein zu sein. Angst vor fast allem.


Es ist schön zu lesen, wie die drei sich in der Wohnung arrangieren. Sylvester und die Erzählerin überlegen sich Strategien, wie man Matilda helfen könnte. Sie stellen nichts in Frage, sondern akzeptieren einander wie sie sind. Und das geht durchaus in alle Richtungen. Sylvester versteckt sich manchmal im Bad, um den Besuchen seiner Verflossenen zu entgehen. Und die Erzählerin ist etwas unorganisiert und macht sich ständig Gedanken um alles und nichts. Nur an ihre Magisterarbeit macht sie sich nicht.

Matilda wartete um sieben auf der anderen Straßenseite. Wir liefen durch die Stadt, bis es empfindlich kalt wurde. Wir fingen schnell mit allem an. „Warum hast du dir Sachen für Fische einpacken lassen?“, fragte ich, weil es nichts gab, was zu früh gefragt werden könnte. Matilda sagte nichts, weil es nichts gab, das zu spät gesagt werden könnte.
Wir fingen mit allem Möglich durcheinander an, Matilda und ich hatten uns alles zu sagen und überhaupt nichts. Wir fingen von den Sorgen um acht an der Bushaltestelle an und von denen, die kommen, wenn alle anderen scheinbar schlafen. Von der Angst vor Sonntagvormittagen und dem Pelz auf dem restlichen Sonntag, wenn man die erste Hälfte verschlafen hat. (S. 90/91)

Es wird bald deutlich, dass Matilda an einer psychischen Erkrankung leidet. Es stellt sich die Frage, was es eigentlich bedeutet „verrückt zu werden“. Ist die Angst davor schon eine Verrücktheit oder gerade der Beweis für die eigene Gesundheit? Im Nebeneinander von Matilda und der Erzählerin wird deutlich, dass Ängste und Marotten in verschiedenen Abstufungen vorkommen, auch bei denen, die vermeintlich „normal“ sind.

Insgesamt konnte mich „Erste Hilfe“ leider nicht so fesselt wie Lekys andere Bücher. Die Geschichte plätschert so dahin. Die Formulierungen wiederholen sich ebenso wie die Gedankenschleifen in den Köpfen. Der Stil ist witzig, wenn auch nicht ganz so gelungen wie in „Die Herrenausstatterin“. Das Thema indes ist ein sehr wichtiges. Gut gefallen haben mir die Kapiteleinleitungen, mit denen der Leser auf den Inhalt des Folgenden eingestimmt wird, z.B. so:

Achtes Kapitel
in dem die Erzählerin einiges über Königshäuser erfahren und mit Gummibändern und fleischfressenden Pflanzen hantiert wird. (S. 117)


Ein Roman über Freundschaft, Akzeptanz und das vermeintlich Normale, der leider etwas flach bleibt.

Erste Hilfe, Mariana Leky, DuMont Verlag, Köln 2004, 192 Seiten, 11,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

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