Unschuldig verhüllt kommt dieses Buch daher, in einem
blütenweißen Umschlag mit der Frage: „Wann wurden Sie das letzte Mal verführt?“.
Der Diogenes-Verlag hat zehn seiner Backlist-Titel unter derartigen
Tarnumschlägen versteckt und nennt dies „Diogenes under cover“. Ich gebe zu,
dass ich vor dem Kauf nach dem Titel geluschert habe.
Darunter verbirgt sich ein Roman über einen ungewöhnlichen
tamilischen Koch, Maravan, der wegen des Bürgerkriegs in seiner Heimat Sri
Lanka 2008 in der Schweiz Asyl gesucht hat. Obwohl er schon als Kind alles über
die Kunst des Kochens von seiner Großtante Nangay gelernt und später in seiner
Heimat auch als Koch gearbeitet hat, kann er aufgrund der Asylgesetze im
Gastland nur als Küchenhilfe niedere Arbeiten zu einem Hungerlohn verrichten.
Sein überlegenes Wissen wird ihm zum Verhängnis. Er verliert seinen Job.
Durch Zufall wird eine ehemalige Kollegin darauf aufmerksam,
dass Maravan nicht nur besonders wohlschmeckend kochen kann, sondern dass seine
Speisen nach alten ayurvedischen Rezepten aphrodisierend wirken. Eine Geschäftsidee
entsteht.
„Anstatt das ganze Püree aus in gezuckerter Milch eingelegten Urd-Linsen portionenweise im Backofen zu trocknen, vermischte er die Hälfte mit Agar-Agar. Beide Hälften strich er auf Silikonmatten, schnitt sie in Streifen. Die Hälfte ohne Agar-Agar trocknete er im Backofen und drehte sie noch warm zu Spiralen. Die andere Hälfte ließ er erkalten und wand die elastischen Blätter in die inzwischen knusprig gewordenen Spiralen. (…) Er würde sie zusammen mit süßem Safranghee reichen, den er auf dünne, mit Safranfäden belegte Honig-Gel-Streifen strich und rollte. Mit diesen hellgelben Zylindern, durch deren opake Wände dunkelgelb die Safranfäden schimmerten, umstellte er die Sphären.“ (S. 43)
Welcher Menschenschlag nimmt die Dienste eines Catering
Services mit Namen „Love Food“ in Anspruch? Sicher, da sind langjährige Ehepaare,
die ihrer Beziehung neuen Schwung geben wollen. Aber es gibt auch Geschäftsleute,
die lieber mit anderen Damen als der eigenen Frau tafeln möchten. Maravan
möchte gar nichts wissen über die Art von Geschäften, die diese Kunden machen,
sondern am liebsten nur verheiratete Paare bekochen. Schließlich ist er
gläubiger Hindu. Aber Kunst geht eben auch nach Brot, zumal die Familie in der
Heimat dringend finanzieller Unterstützung bedarf. Auf einmal wird das Wegsehen
jedoch sehr schwer.
Martin Suter erzählt diese Geschichte glänzend leichtfüßig
und beschreibt detailreich die Zubereitung der exotischen Speisen. Liebevoll
werden Essenzen destilliert, Gewürze geröstet und feine Schäume kreiert – man kann
die Düfte förmlich erschnuppern und spürt das sanfte Zergehen der
Köstlichkeiten auf der Zunge. (Im Anhang befinden sich sogar die Rezepte zum Nachkochen!)
Fein versponnen mit den sinnlichen Genüssen gibt es eine sanfte
Liebesgeschichte und ein paar politische Verwicklungen im Rahmen der
Bankenpleiten und Wirtschaftskrise von 2008.
Eine herrliche
Verführung zum sinnlichen Lesen!
Der Koch, Martin Suter, Diogenes Verlag, Zürich 2011, 320
Seiten, 13,00 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher
Erlaubnis des Verlags.)
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