Donnerstag, 4. Juli 2019

Der Koch, Martin Suter


Unschuldig verhüllt kommt dieses Buch daher, in einem blütenweißen Umschlag mit der Frage: „Wann wurden Sie das letzte Mal verführt?“. Der Diogenes-Verlag hat zehn seiner Backlist-Titel unter derartigen Tarnumschlägen versteckt und nennt dies „Diogenes under cover“. Ich gebe zu, dass ich vor dem Kauf nach dem Titel geluschert habe.

Darunter verbirgt sich ein Roman über einen ungewöhnlichen tamilischen Koch, Maravan, der wegen des Bürgerkriegs in seiner Heimat Sri Lanka 2008 in der Schweiz Asyl gesucht hat. Obwohl er schon als Kind alles über die Kunst des Kochens von seiner Großtante Nangay gelernt und später in seiner Heimat auch als Koch gearbeitet hat, kann er aufgrund der Asylgesetze im Gastland nur als Küchenhilfe niedere Arbeiten zu einem Hungerlohn verrichten. Sein überlegenes Wissen wird ihm zum Verhängnis. Er verliert seinen Job.

Durch Zufall wird eine ehemalige Kollegin darauf aufmerksam, dass Maravan nicht nur besonders wohlschmeckend kochen kann, sondern dass seine Speisen nach alten ayurvedischen Rezepten aphrodisierend wirken. Eine Geschäftsidee entsteht.

„Anstatt das ganze Püree aus in gezuckerter Milch eingelegten Urd-Linsen portionenweise im Backofen zu trocknen, vermischte er die Hälfte mit Agar-Agar. Beide Hälften strich er auf Silikonmatten, schnitt sie in Streifen. Die Hälfte ohne Agar-Agar trocknete er im Backofen und drehte sie noch warm zu Spiralen. Die andere Hälfte ließ er erkalten und wand die elastischen Blätter in die inzwischen knusprig gewordenen Spiralen. (…) Er würde sie zusammen mit süßem Safranghee reichen, den er auf dünne, mit Safranfäden belegte Honig-Gel-Streifen strich und rollte. Mit diesen hellgelben Zylindern, durch deren opake Wände dunkelgelb die Safranfäden schimmerten, umstellte er die Sphären.“ (S. 43)

Welcher Menschenschlag nimmt die Dienste eines Catering Services mit Namen „Love Food“ in Anspruch? Sicher, da sind langjährige Ehepaare, die ihrer Beziehung neuen Schwung geben wollen. Aber es gibt auch Geschäftsleute, die lieber mit anderen Damen als der eigenen Frau tafeln möchten. Maravan möchte gar nichts wissen über die Art von Geschäften, die diese Kunden machen, sondern am liebsten nur verheiratete Paare bekochen. Schließlich ist er gläubiger Hindu. Aber Kunst geht eben auch nach Brot, zumal die Familie in der Heimat dringend finanzieller Unterstützung bedarf. Auf einmal wird das Wegsehen jedoch sehr schwer.

Martin Suter erzählt diese Geschichte glänzend leichtfüßig und beschreibt detailreich die Zubereitung der exotischen Speisen. Liebevoll werden Essenzen destilliert, Gewürze geröstet und feine Schäume kreiert – man kann die Düfte förmlich erschnuppern und spürt das sanfte Zergehen der Köstlichkeiten auf der Zunge. (Im Anhang befinden sich sogar die Rezepte zum Nachkochen!) Fein versponnen mit den sinnlichen Genüssen gibt es eine sanfte Liebesgeschichte und ein paar politische Verwicklungen im Rahmen der Bankenpleiten und Wirtschaftskrise von 2008.

Eine herrliche Verführung zum sinnlichen Lesen!

Der Koch, Martin Suter, Diogenes Verlag, Zürich 2011, 320 Seiten, 13,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

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