Michel Houellebecq entwirft dieses Szenario im Frankreich der sehr nahen Zukunft, in 2023. Die Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Parteien verlieren deutlich an Zulauf, sind marginalisiert. In der Stichwahl steht Marine Le Pen mit dem Front National gegen die neu gegründete Bruderschaft der Muslime. Letztere sind durchaus keine Taliban, keine radikalen Terrorhelfer, sondern gemäßigte Muslime. Ganz neue politische Bündnisse bilden sich, weil kleine Parteien die Chance auf Regierungsverantwortung zusammen mit den Muslimen wittern. Die Muslime gewinnen.
Was dann kommt, erzeugt das ganze Buch hindurch ein stärker werdendes Unwohlsein bis hin zu Angst. Denn diese Geschichte ist so unglaublich realistisch. Erzählt wird die Geschichte von Franҫois, Mitte vierzig, einem mittelmäßigen Hochschullehrer für Literatur an der Sorbonne. Er ist auch nur mittelmäßig sympathisch mit seinem hohen Alkoholkonsum und den wechselnden Studentinnen als Freundinnen. Wirklich interessiert scheint er nur an Essen, Alkohol und Sex zu sein. Allerdings veranlassen ihn die Verhältnisse sich doch ein wenig mit Politik zu beschäftigen, als nämlich die Universität von den Saudis gekauft und als islamische Universität wiedereröffnet wird. Franҫois wird entlassen. Und auch sonst verändert sich das Land langsam, schleichend, aber deutlich.
„Dass Politik in meinem Leben eine Rolle spielen könnte, verwirrte und ekelte mich ein bisschen. Mir war aber bereits klar geworden, dass der sich seit Jahren verbreiternde, inzwischen bodenlose Graben zwischen dem Volk und jenen, die in seinem Namen sprachen – also Politiker und Journalisten -, notwendigerweise zu etwas Chaotischem, Gewalttätigem und Unvorhersehbarem führen musste. Frankreich bewegte sich, wie die anderen Länder Westeuropas auch, auf einen Bürgerkrieg zu, das lag auf der Hand.“ (S. 101)Der Roman ist ohne Zweifel provozierend und wirft diverse gesellschaftliche Fragen auf. Dabei geht es allerdings nur scheinbar darum, Muslime in Misskredit zu bringen. Die säkulare westliche Gesellschaft bekommt genauso ihr Fett weg. Viel zu schnell lassen Menschen ihre früheren Werte fahren, arrangieren sich mit den neuen Machthabern, lassen sich korrumpieren von Geld und der Aussicht auf Polygamie. Religion wird missbraucht zur Rechtfertigung reaktionärer Ziele, wie dem Patriarchat und der Aufhebung des Sozialstaats, und zur Zementierung von Macht.
„Es ist die Unterwerfung“, sagte Rediger leise. „Der nie zuvor mit dieser Kraft zum Ausdruck gebrachte grandiose und zugleich einfache Gedanke, dass der Gipfel des menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung besteht. (…) Aber für mich besteht eine Verbindung zwischen der unbedingten Unterwerfung der Frau unter den Mann, (…) und der Unterwerfung des Menschen unter Gott, wie sie der Islam anstrebt.“ (S. 234)Houellebecq hält allen Gruppen den Spiegel vor. Das neue muslimische Regime könnte ebenso gut eine andere politische Gruppierung oder ideologische Gruppe sein. Der Faschismus in Deutschland hat auch nicht viel anders angefangen, nämlich durch die demokratische Wahl eines Führers, der zunächst kontrollierbarer wirkte als er war, allgemein anerkannte Ziele verfolgte (z.B. Senkung der Arbeitslosigkeit) und erst nach Etablierung entsprechender Strukturen seinem Extremismus freien Lauf ließ.
Tatsächlich ist „Unterwerfung“ ein Roman über fehlende Zivilcourage, politisches Desinteresse, Wertevakuum und Opportunismus. Wohin diese Mängel sehr schnell führen können, zeigt diese Geschichte eindrucksvoll. Sie sollte uns dazu bringen, genauer darüber nachzudenken, was wir von aktuellen Veränderungen der politischen Landschaft zu halten haben, in unserem Land, bei den europäischen Nachbarn und weltweit, egal welches die vorherrschende Religion in einem Land ist.
Ein verstörender, eindrucksvoller und notwendiger politischer Roman. Sehr lesenswert!
Unterwerfung, Michel Houllebecq, aus dem Französischen von Norma Cassau und Bernd Wilczek, DuMont Buchverlag, Köln 2015, 272 Seiten, 10,99 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)
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