Manfred Mai zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht einfach
Sachbücher über Geschichte schreibt. Nein, er erzählt Geschichte. So kommt es,
dass man seine „Geschichte der deutschen Literatur“ recht schnell von vorn bis
hinten durch lesen kann. Es ist eben kein Nachschlagewerk, das Daten aneinander
reiht, sondern eine Erzählung, die einen leichtfüßig mitnimmt durch die Jahre
und Jahrhunderte, wie auch seine „Deutsche Geschichte“, die ich hier schon
vorgestellt habe (vgl. meine Rezension).
Der Titel ist insofern etwas unscharf, als es sich nicht nur
um deutsche Literatur, also deutsche Autoren handelt, sondern das Werk
deutschsprachige Literatur insgesamt umfasst, also insbesondere österreichische
und schweizer Autoren.
Die Anfänge der deutschen Literatur sieht Mai im 8.
Jahrhundert nach Christus, da erst zu dieser Zeit eine ausreichende
Schriftkultur (die über Runen und Zeichen hinausgeht) bestand, die uns
überliefert ist. Erstaunlicherweise sind die ersten überlieferten Texte zwei
Zaubersprüche! Wer hätte das gedacht! Mir war bewusst, dass es zu diesem
Zeitpunkt kein einheitliches deutsches Reich gab und auch unser heutiges
Hochdeutsch noch nicht existierte. Mir war allerdings nicht klar, dass die
damaligen Dialekte, die die Menschen auf dem heutigen deutschen Territorium gesprochen
haben, so weit von der heutigen deutschen Sprache entfernt waren. Die Zaubersprüche
etwa soll ein Mönch in Fulda aufgeschrieben haben. Diese wären mir ohne die
Übersetzung ins Hochdeutsche überhaupt nicht verständlich gewesen.
Der Autor bildet in den Kapiteln des Buches Epochen und
stellt eine kleine Auswahl typischer Vertreter vor. Behandelt werden alle
Gattungen, also neben Prosa auch Lyrik und Drama. Es tut dem Buch ausgesprochen
gut, dass nicht zu viele Autoren behandelt werden. Wichtiger ist die Einordnung
in den historischen Kontext, in dem die Literatur entstanden ist. Am allerbesten
gefällt mir aber, dass Literatur nicht nur beschrieben wird, sondern dass man
sie mitten im Text gleich selbst lesen kann. Der beschreibende Text ist in
schwarzer Schrift gedruckt. Dazwischen finden sich in roter Schrift in jedem
Kapitel lange Zitate aus wichtigen Werken (also nicht nur wenige Sätze, sondern
aussagekräftige Passagen). So bekommt man gleich ein Gefühl für den jeweiligen
Autor, ohne zuerst eine Bibliothek aufsuchen zu müssen.
„Zeigen“ wollte der junge Brecht mit seinen Stücken, nicht unterhalten. Dafür schien ihm das klassische „Illusionstheater“ ungeeignet. Deshalb suchte er Mittel und Wege, die Zuschauer aus ihrer Konsumhaltung zu reißen. Schon bei der Aufführung seiner ersten Stücke ließ er zum Beispiel Transparente aufhängen: „Glotzt nicht so romantisch!“ Die Schauspieler traten aus ihrer Rolle, wandten sich direkt an das Publikum und forderten es zum Mit- und Nachdenken auf; (…). (S. 147)
Schade ist, dass die als aus 2018 stammend gekennzeichnete
Ausgabe keine Aktualisierung des Textes enthält, sondern weiterhin auf dem
Stand von 2006 bleibt. Die Jahre bis heute fehlen in der Abhandlung also.
Während ich mit der Auswahl der Autoren als typisch für bestimmte
Zeitabschnitte überwiegend sehr einverstanden bin, verblüfft mich die Auswahl
für die Zeit ab Mitte der 1990er Jahre bis 2006 doch sehr. Ich hatte keinen der
Namen zuvor gehört und hätte mir andere vorstellen können. Aber das ist
natürlich Geschmackssache, wie auch der Autor in seinem Vorwort gern zugibt.
Die Abhandlung ist eigentlich für Jugendliche als Einführung
in die Literatur gedacht und soll Lust zum Lesen wecken. Als Einstieg ist sie
aber auch für Erwachsene auf jeden Fall empfehlenswert. Wie auch im Werk „Deutsche
Geschichte“ ermöglicht Manfred Mai in diesem Buch einen Überblick über die
großen Strömungen und Entwicklungen über Jahrhunderte, ohne sich in zu vielen
Details zu verstricken. Er beschreibt sehr nachvollziehbar ohne unverständliches
Fachvokabular das Besondere oder Neue eines bestimmten Stils und unterfüttert
dies mit Zitaten der Autoren aus Interviews o.ä., in denen sie ihr eigenes Werk
beschreiben. Aufgelockert wird das Buch durch Portrait-Zeichnungen der Autoren.
Ein sehr gelungenes
Werk, das Lust zum Entdecken von Klassikern von Goethe bis Dürrenmatt, von
Kästner bis Schlink macht.
Geschichte der deutschen Literatur, Manfred Mai, Gulliver in
der Verlagsgruppe Beltz, Weinheim Basel 2006, 240 Seiten, 8,95 EUR
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