Dieses Buch ist ein herrliches Gesellschaftspanorama der USA
und spielt während des Präsidentschaftswahlkampfs 2016. Trump hat die Wahl noch
nicht gewonnen, wird aber heftig diskutiert. Diese Diskussion ist ungeheuer wichtig,
meint eine der Personen im Roman, denn immer wenn in ihrem Leben etwas schief
läuft, denke sie an Trump und merke dann, dass die wirklichen Katastrophen
eigentlich woanders als in ihrer Familie passieren. Man merkt sofort, das Buch
hat einen bissigen und intelligenten Humor.
Hauptthema ist jedoch nicht der Wahlkampf, sondern das New Yorker
Wall Street-Milieu. Barry Cohen, Anfang 40, ist Manager eines
milliardenschweren Hedgefonds. Nun ja, jedenfalls war der Fonds milliardenschwer,
bis es den einen oder anderen Verlust gegeben hat. Die Börsenaufsicht hat sich
noch nicht direkt gemeldet. Aber weil es in Barrys Leben in einer 400 qm-Wohnung
in Manhattan ohnehin gerade nicht so rund läuft – seine Frau ist am Boden
zerstört seit der gemeinsame 3-jährige Sohn eine bestimmte Diagnose bekommen
hat, die sein etwas seltsames Verhalten erklärt – beschließt er, dass er sich
ändern muss. Amerika ist ein freies Land, und nichts ist so inspirierend wie
ein Road Trip in einem Greyhound Bus.
Barry reist per Bus quer durch die USA, um seine
Collegeliebe wiederzufinden. Mit ihr wäre das Leben sicher genauso, wie er es
sich immer erträumt hat, oder? Barry begegnet unterwegs allem, was man zwischen
Manhattan und El Paso, Texas so erwarten kann: Farbigen Menschen, Drogen, einem
einäugigen Mexikaner, religiösen Fanatikern und einer blutjungen Frau, die scharf
auf Barry ist. Er sieht heruntergekommene Vorstädte und Motels, muss
zwischendurch hungern und sich mit dem Gestank im Bus abfinden. Das kann Barry
nur deshalb ertragen, weil er in seinem Koffer einige seiner Luxusarmbanduhren nebst
Uhrenbewegern mitgenommen hat. Nichts beruhigt Barry so sehr, wie dem
Sekundenzeiger einer goldenen Piaget mit den Augen zu folgen.
„Die Uhr saugte das unmenschliche Leuchten des umliegenden Raums in sich auf und ersetzte es durch Schönheit und Hoffnung.“ (S. 15)
Gary Shteyngart, der lustigerweise selbst einen großen
Uhrentick hat, wie die Figur Barry einen jüdischen Hintergrund hat und dessen
Vorname sich kaum von dem seiner Hauptfigur unterscheidet, nimmt diverse
Klischees und Gesellschaftsschichten – einschließlich sich selbst - aufs Korn.
Dabei gibt es immer wieder versteckte Seitenhiebe in Richtung Trump und anderer
Tycoone, etwa wenn Barrys spätere Ehefrau überlegt:
„Ein so reicher Mann konnte nicht dumm sein. Oder war das, dachte Seema, jetzt der große Trugschluss im Amerika des einundzwanzigsten Jahrhunderts?“ (S. 110)
Shteyngarts Satire kommt gerade zur rechten Zeit, während
sich Europa (und der halbe Rest der Welt) immer mehr fragt, wie es die USA zu
einem Präsidenten wie Trump bringen konnten und dieser sich auch noch im Amt
hält. Die groteske Story ist hinreißend komisch. Das Lachen bleibt einem jedoch
zuweilen im Halse stecken, wenn man feststellen muss, dass es tatsächlich eine
große Anzahl von Menschen zu geben scheint, die so denken, leben und handeln
wie die Charaktere des Buches.
Ein meisterhafter Roman
mit Sogwirkung, der seine Message gekonnt und mit Witz rüber bringt. Ein
absolutes Must-Read!
Willkommen in Lake Success, Gary Shteyngart, aus dem Englischen
von Ingo Herzke, Penguin Verlag in der Verlagsgruppe Random House, München 2019,
432 Seiten, 24,00 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher
Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung
gestellte Rezensionsexemplar.)
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