Der im März 2019 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse
ausgezeichnete Roman hat mich durch seine Sprache und seine Direktheit
gefesselt. Das Erzählte ist so wahr, dass es wehtut. Und das soll es auch.
Resi ist Anfang Vierzig, Mutter von vier Kindern und wütend.
Weil es doch wohl möglich sein muss, zu sagen wie es ist. Es ist doch sogar
ihre Pflicht, ihren Kindern mitzuteilen, wie die Welt so funktioniert. Das
haben ihre Eltern nämlich versäumt, weshalb sie jetzt so desillusioniert ist. Resi
lebt mit ihrer Familie in Berlin. Sie ist Schriftstellerin, ihr Mann Sven ist
Künstler. Beide stammen nicht aus reichem Hause. Das tun aber die meisten aus
ihrer Clique, die sich zu einem Bauprojekt zusammengeschlossen haben, um ihren
Bilderbuchfamilien ein Bilderbuchheim zu schaffen. Aber ist es hinter der
vanillefarbenen Fassade wirklich schön? Resi hat nicht das Geld, um mit einzusteigen.
Ihre Freunde kommentieren das mit „weiß man doch, dass Kinder Geld kosten“. Ist
Resi also selbst schuld, dass sie sich diesen Lebensstil nicht leisten kann?
Und wo sind eigentlich die Jugendideale geblieben, die sie meinte mit ihren
Freunden seit Schultagen zu teilen? Die soziale Gleichheit, die Gemeinschaft,
der die Herkunft egal ist? Der Entschluss, alles anders zu machen als die
Eltern? Endlich die Klappe aufzumachen und die Dinge beim Namen zu nennen?
Resi entlarvt das Klassendenken ihres Umfelds, was ihre
Freunde aber gar nicht verknusen können. Sie schweigt nicht länger, um
mithalten zu können und akzeptiert zu sein, während alle anderen nur noch
darauf bedacht sind, ihre eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Sie pocht
auf die Toleranz und Offenheit, die man sich einst geschworen hat, die mit
Anfang Vierzig aber zwischen den Händen zerronnen ist. Und sie benennt die
Realität einer Familie mit vier Kindern mitsamt den Wäschebergen, den
Erziehungsidealen, die im Alltag nicht durchzuhalten sind und der Schmach, den
Kindern keine Ferienreise bieten zu können. Ist das tatsächlich persönliches Versagen
und Schicksal, oder ist da was faul in der Gesellschaft?
„Vorwurf an meine Mutter, Renates Mutter, Renate und all die anderen, die glauben, es sei besser zu schweigen, sich zurückzunehmen und auf die Zukunft ihrer Töchter zu setzen:Ihr irrt euch.Indem ihr schweigt, schluckt und verschleiert, schont ihr uns nicht, sondern haltet uns in Unwissenheit. Privatisiert außerdem gesellschaftliches Unrecht – denn das es euch nicht gut geht, bemerken wir, glauben aber, das habe rein persönliche Gründe. Ihr schafft’s halt nicht, seid nicht stark, schön, schlau und durchsetzungsfähig genug. Oder, noch besser, habt uns bekommen und dafür auf alles andere verzichtet.“ (S. 56)
Anke Stelling hat einen tollen feministischen und
gesellschaftskritischen Roman geschrieben, der die Frage nach der
Klassengesellschaft in einer Zeit stellt, in der viele das Wort für antiquiert
und die Diskussion für obsolet halten. Die Autorin nimmt kein Blatt vor den
Mund, weshalb die Lektüre sehr viel Spaß macht. So Tacheles zu reden wünscht
sich manche Frau!
Ein gift- und
gallespeiender Roman, der verlogene Fassaden zum Einsturz bringt. Ghettofaust
für diese Geschichte!
Schäfchen im Trockenen, Anke Stelling, Verbrecher Verlag Berlin
2018, 272 Seiten, 22,00 EUR
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