Dieser Roman wird abwechselnd von zwei sehr unterschiedlichen
Personen erzählt, von Hannah Kohler, einen Historikerin aus den USA von Anfang
Dreißig und Tariq Zafar, einem neunzehnjährigen Marokkaner. Beide sind nach
Paris gekommen, um dieses Echo der Vergangenheit zu spüren.
Tariq mag das Leben in Tanger nicht, wo er mit Vater und
Stiefmutter lebt. Es scheint ihm, als sei er gar nicht wirklich lebendig. Er
spricht fließend französisch, da seine Mutter Halbfranzösin war und viele Jahre
in Paris gelebt hat. Sie starb, als Tariq noch klein war. Er möchte mehr über
sie wissen, über ihr Leben in Europa. Paris kennt er nur aus Filmen, aber es
scheint ihm, als sei dort das Leben. Also bricht er dorthin auf, ohne Papiere,
ohne Geld, ohne Plan, geleitet nur von seiner Sehnsucht.
Dort begegnet er durch Zufall Hannah, die einen sechsmonatigen
Forschungsaufenthalt in Paris verbringt. Hannahs Aufenthalt gestaltet sich
gegensätzlich zu dem von Tariq. Sie ist vor zehn Jahren bereits einmal länger
In Paris gewesen, sie hat sich in ihr Forschungsthema bereits genau eingelesen
und den Weg durch die Institute bereits geplant, in denen sie recherchieren
will. Sie besitzt einen Stadtplan, hat ein Apartment gemietet, ist gut
organisiert. Hannah befasst sich mit der Zeit der Besetzung Frankreichs durch
die Nazis 1940 bis 1944, insbesondere mit dem Leben der Frauen in Paris und der
Résistance.
Tariq bemerkt bald, dass er nichts weiß über die Geschichte Europas,
nicht einmal die seines eigenen Landes, nichts über das Leben und die Frauen,
an denen er jedoch sehr interessiert ist. Er wird ausgelacht, weil er nicht
einmal weiß, wer dieser Typ de Gaulle ist. Er beneidet Hannah um ihr Wissen,
auch um ihre Kenntnis der eigenen Abstammung, die Herkunftsländer ihrer
Vorfahren. Denn er empfindet nur eine große Lücke, die er auch vor Ort in Paris
kaum zu füllen vermag.
Hannah hingegen beneidet Tariq um seine Unbefangenheit. Er
reist „ohne Gepäck“ im doppelten Sinne, ist aber offen und saugt alles Unbekannte
in sich auf, ohne von Vorurteilen gehemmt zu sein. Hannahs Recherche über das
Leben der Frauen in den 40er Jahren vermischt sich immer mehr mit den
schmerzlichen Erfahrungen, die sie selbst vor zehn Jahren in Paris gemacht und
noch nicht wirklich hinter sich gelassen hat.
Beide stellen sich die Frage, welchen Wert das Erinnern hat,
das historische als auch das persönliche. Verhindert das Gedenken an
Gräueltaten wirklich deren Wiederholung? Was ist der Unterschied zwischen Gedenken
und dem Verharren in altem Schmerz und Hass? Spiegelt nicht das heutige
Verhältnis der Franzosen und Nordafrikaner zueinander, das Tariq in Paris
erlebt, genau dieses Festhalten an alten Ressentiments?
„‘What, really, is the difference between the commemoration of an artrocity and the perpetuation of a grievance?’Julian breathed in. ‘I think we know.’‘Don’t just dismiss the question.’‘I’m not. Only a few years ago the Serbs were massacring Bosnian Muslims to get their own back for the way the Serbs were beaten by the Ottoman Turks at the Battle of Kosovo in 1380-something! The whole Serbian identity is built on the myth of Kosovo Polje. Wouldn’t it be better if they’d just forgotten? Six hundred years is a bloody long time to brood.’” (S. 225)
Die Buchkapitel sind nach Pariser Métrostationen benannt.
Tariq liebt die Métro, mit der er sich durch die Stadt bewegt, in der er verschiedene
Mädchen beobachtet und Menschen trifft. Durch die Stationsnamen lernt er so
manches über die historischen Orte und Personen, die diese Stadt in sich
vereint. So wird die Fahrt in der Métro zur Reise zu sich selbst.
Ein faszinierendes
Buch, sehr dicht geschrieben, mit glaubwürdigen Charakteren, deren Weg man gern
begleitet. Was verbindest Du mit Paris?
Paris Echo,
Sebastian Faulks, englischsprachige Ausgabe, Hutchinson Verlag, London
2018, 298 Seiten
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