Maskottchen der Rotfuchs-Buchreihe |
Im Rahmen der jährlichen Veranstaltungsreihe „Verlage
besuchen“, bei der Verlage in Deutschland und der Schweiz Interessierte zu sich
einladen, habe ich am 6. Mai 2019 den Rowohlt Verlag in Hamburg besucht. Erst
vor wenigen Wochen ist der Verlag von Reinbek in die Hamburger Innenstadt, in
das Bieber-Haus nahe des Hauptbahnhofs umgezogen. Der kaufmännische Geschäftsführer
des Verlags, Herr Kraus vom Cleff sowie Lektor Dr. Naumann führten eine Gruppe
von knapp 30 Personen durch eine der beiden vom Verlag genutzten Etagen. 155
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten für Rowohlt in Hamburg.
Schon im Empfangsbereich waren ein paar Schätzchen aus der Verlagsgeschichte
zu bewundern. Hinter Glas geschützt standen alte Rowohlt-Buchausgaben in diversen Sprachen, die Teil des
umfangreichen Verlagsarchivs sind. In unmittelbarer Nachbarschaft waren
aktuelle Bücher aus dem Verlagsprogramm aufgereiht. Im ganzen Haus waren wir
umgeben von deckenhohen Regalen mit Büchern, Büchern, Büchern (Wohlfühlatmosphäre
also). Wie viele Bücher Rowohlt seit seinem Beginn 1908 herausgebracht hat,
lässt sich heute nicht mehr genau nachvollziehen. Geschätzt sind es etwa 25.000
Titel in einer Auflage von ca. 7 Mio. Büchern.
Anhand alter Wochenschau-Ausschnitte wurde uns die
Verlagsgeschichte nahe gebracht. Der Verlag wurde 1908 von Ernst Rowohlt in
Dresden gegründet. Das erste von ihm verlegte Buch war ein Gedichtband mit dem
Titel „Lieder der Sommernächte“ in einer Auflage von nur 300 Stück. Ernst
Rowohlt, im Verlag liebevoll „Väterchen“ genannt, muss eine bemerkenswerte
Persönlichkeit gewesen sein. Dr. Naumann berichtete, dass es Rowohlts Marotte
gewesen sei, bei geselligen Anlässen zunächst dem Wein zuzusprechen und sodann
beherzt in das Weinglas zu beißen und dieses aufzuessen. Nun, die Geschmäcker
sind verschieden. Um dem Vater in nichts nachzustehen, entwickelte auch Ernst
Rowohlts Sohn, Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, seine Eigenart. Er sei dafür
bekannt gewesen, auf öffentlichen Veranstaltungen wie etwa der Buchmesse
Purzelbäume zu schlagen. Bedauerlicherweise scheinen die Verleger des 21.
Jahrhunderts von dieser Sitte abgekommen zu sein, da uns nichts dergleichen bei
unserem Besuch vorgeführt wurde. (Möglicherweise aufgrund der Abwesenheit des verlegerischen Geschäftsführers?)
Nachdruck eines Rotationsromans |
Das Haus Rowohlt ist bis heute stolz auf die verlegerischen Innovationen,
die der Verlag über die Jahrzehnte auf den Weg gebracht hat, etwa die
Herausgabe von (preiswerteren) Dünndruckausgaben von Klassikern wie Honoré de
Balzac. Nachdem der Verlag unter den Nazis verboten und nach dem 2. Weltkrieg
neu gegründet worden war, mangelte es an Materialien für den Buchdruck. Vorhanden
war allerdings Zeitungspapier. So kam es zur Herausgabe von „Rowohlts Rotations-Romanen“
(von denen das rororo-Kürzel bis heute geblieben ist). Ein ganzer Roman wurde
im Format einer Tageszeitung im Rotationsverfahren (Druck auf rotierenden
Papierrollen, der zuvor nur zum Zeitungsdruck genutzt worden war) gedruckt, mit einer Aufalge von je 100.000 Stück. Die
Herstellung war derart preiswert, dass ein Roman in den Jahren 1946 bis 1950
für 50 Pfennige in der Buchhandlung verkauft werden konnte und so für viele
erschwinglich war. Das Zeitungspapier war natürlich nicht sehr haltbar und
zerfledderte bald. Es war sehr schön, mal ein Original dieser legendären Drucke
zu sehen – auch wenn wir das fragile Exemplar nicht anfassen durften. Mir gefiel auch der Nachdruck von "Schloss Gripsholm" als Rotationsroman. Der Roman enthält einen (fiktiven) Schriftwechsel zwischen Kurt Tucholsky und Ernst Rowohlt.
Die logische Weiterentwicklung des „Gebrauchsbuchs“, das
nicht dazu gedacht war bis in alle Ewigkeit im Bücherschrank aufbewahrt zu
werden, war das Taschenbuch. Die Idee dazu brachte Heinrich Maria Ledig-Rowohlt
von einer USA-Reise mit, wo es die sog. Pocketbooks schon gab. 1950 brachte
Rowohlt als erster deutscher Verlag ein Taschenbuch heraus, und zwar „Kleiner
Mann, was nun?“ von Hans Fallada. Die Deutschen sind bekanntermaßen bis heute
pingelig mit ihren Büchern. So verwundert es nicht, dass sich das Taschenbuch
erst durchsetzen musste und von vielen Kunden nicht als „richtiges“ Buch
akzeptiert wurde. Damit der Einband nicht zu sehr aus dem Leim ging, wurde der
Buchrücken in den ersten Jahren noch durch ein Leinenbändchen verstärkt. Diese
Art der Taschenbuchbindung ist heute längst vom Buchmarkt verschwunden. Ich
erinnere diese Bände aber vom Bücherregal meiner Großeltern.
Zum Schluss diskutierte die Gruppe mit den
Verlagsmitarbeitern über den jetzigen Buchmarkt und die Zukunft des Lesens.
Ernst Rowohlt wird mit dem Ausspruch zitiert, „Rowohlt ist erstens ein Verlag
und zweitens eine Firma.“ Er wollte seinen Anspruch ausdrücken, dass die
Literatur an erster Stelle, die Wirtschaftlichkeit des Verlags erst an zweiter
Stelle stehen sollte. Größter Antreiber (manche sagen größtes Ärgernis) des
Buchhandels ist derzeit der Online-Riese Amazon. Dieser sieht sich als „Allesverkäufer“
über das Internet, der deshalb mit dem Verkauf von Büchern begann, weil sie
robust im Versand und unkompliziert in der Lagerung waren. In diesem
Spannungsverhältnis bewegt sich der Buchmarkt heute.
Herr Kraus vom Cleff berichtete, dass Rowohlt 370 neue Titel
pro Jahr verlege. Die durchschnittliche Auflage eines Titels wurde mit 2.500
Stück angegeben. Täglich erreichen den Verlag zwischen 20 und 40 unverlangt
eingesandte Manuskripte, von denen nur ein winziger Bruchteil angenommen werde.
Der Buchmarkt werde schnelllebiger. Ein neuer Titel liege nur ca. 6 Wochen in
den Buchhandlungen, bevor die Händler die Remittenden an den Verlag zurück
senden. Der Titel bleibe danach zwar jahrelang bestellbar auf der Backlist, sei
aber nicht mehr in der Auslage der Buchhandlungen präsent. Die Buchhändler
bevorrateten sich für immer kürzere Zeiträume mit Büchern, so dass die Kalkulation
der Auflagenstärke immer schwieriger werde. Verkaufe sich ein Titel in den
ersten zwei Jahren weniger als 700mal, werde er nur noch einzeln aufgrund einer
konkreten Bestellung gedruckt (Book on demand-Verfahren). Das rechne sich im
Vergleich zur Vorhaltung eines Lagerbestandes. Werde wegen großer Nachfrage schnell
eine neue Auflage eines Titels benötigt, könne diese binnen fünf Werktagen in
großer Stückzahl nachgedruckt werden.
Wie viele verkaufte Exemplare einen Titel zum Bestseller machen,
ist unterschiedlich. Allgemein spreche man im Falle eines Hardcover
Belletristiktitels bei ca. 80.000 Exemplaren von einem Bestseller. Um auf die Spiegel-Bestsellerliste
zu kommen, reichten aber auch kleine fünfstellige Zahlen. Vor allem im
Weihnachtsgeschäft hätten alle Verlage ihre besten Titel im Rennen, so dass die
Konkurrenz besonders groß sei. Zu anderen Jahreszeiten reichten deutlich
geringere Verkaufszahlen, um Platz eins der Bestsellerliste zu belegen. Was
dazu führt, dass ein Buch derart große Verkaufszahlen bringt, wisse im Vorhinein
niemand. Der Verlag erwirtschafte mit 10 % seiner Titel 90 % des Gesamtumsatzes.
Dieser Blick hinter die Kulissen eines Verlags hat mir sehr gefallen, es war sehr informativ. Ich habe nach den Gesprächen keinen Zweifel daran, dass die anwesenden Mitarbeiter
des Verlags echte Buchliebhaber sind, die für ihren Beruf und das Lesen brennen.
Wie schön, dass sie sich Zeit genommen und die Mühe gemacht haben, uns herum zu
führen und die vielen Fragen zu beantworten. Es hat sehr viel Spaß gemacht!
Im Bieber-Haus |
Informationen zu der Veranstaltungsreihe gibt es unter https://verlagebesuchen.de. Der Verlag
ist im Internet zu finden unter www.rowohlt.de.
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