Kristian Sandberg, ein Mann in den Dreißigern, trifft Kalina
über eine Dating-App. Er ist fasziniert von der schönen Dänin, die im Beruf als
Zahnärztin erfolgreich ist und ein exklusives Leben in Hamburg-Winterhude
führt. Schon am ersten Tag ihrer Bekanntschaft passiert jedoch etwas, dass ihn
daran denken lässt, den Kontakt zu dieser Frau sofort wieder abzubrechen. Sie
lässt ihn stundenlang sitzen und scheint ihre Worte von vor wenigen Stunden bereits
völlig vergessen zu haben. Das ist das erste große Stoppschild, das Kristian
überfährt. Denn er schreibt und trifft sich weiter mit ihr. Kalina macht auf
ihre Verletzlichkeit aufmerksam, bittet um Achtsamkeit im Umgang. Aber
gleichzeitig stehen ihre Interessen und Bedürfnisse stark im Vordergrund. Ihr
Interesse an Kristians Welt als Literaturagent scheint gering. Aber das
entschuldigt Kristian im Rausch der Verliebtheit, die nun einsetzt. Er trifft
ihre Freunde, möchte in ihrem Kreis angenommen sein. Er macht mit bei
exklusiven Einkaufstrips und teuren Reisen, die eigentlich über seine
Verhältnisse gehen.
Die Nähe, die zwischen Kalina und Kristian entsteht, wird
schnell sehr groß. Beide suchen den Mann / die Frau fürs Leben, bei dem man
sich endlich geborgen und beschützt fühlt.
„Vierundzwanzig Stunden sind seit dem zweiten Date vergangen, und weil mir mein Chef für den nächsten Tag freigegeben hat, fahre ich am Donnerstagnachmittag los Richtung Dänemark. (…) ‚Du darfst nie wieder gehen‘, hatte Kalina gestern am Telefon zu mir gesagt, ‚ab jetzt bist du unverzichtbar.‘“ (S. 51)
„Die zahlreichen Partys und Konzerte, die wild plakatiert angekündigt sind und in den kommenden Wochen in Hamburg stattfinden, sind plötzlich möglich. Alles strahlt sommerhell. (…) Noch einmal ausbrechen. Noch einmal feiern. Danach werden wir gemeinsam ein ruhiges Leben führen. Bald. Ganz bald. Dennoch, obwohl die Rettung sichtbar wird, machen mich die Ereignisse der vergangenen Wochen nervös. Es ist keine Furcht vor Kalina, sondern eine Furcht vor mir selbst, die Sorge, ob ich es schaffen werde, die Erwartungen an mich zu erfüllen. Eigentlich bin ich nicht gut genug für diese Frau.“ (S. 63)
Schon nach wenigen Wochen planen sie nicht nur die
gemeinsame Wohnung, sondern sprechen von Heirat und Familiengründung. So oft in
der großen Münze des Bundes fürs Leben gesprochen wird, so oft führen die
beiden auch den Abbruch der Beziehung im Munde. Denn ähnlich wie am ersten Tag
ihrer Bekanntschaft geht es weiter mit Verletzungen, enttäuschten Erwartungen
und Vorwürfen. Kalina nimmt Anstoß an völlig harmlos gemeinten Bemerkungen und
Handlungen Kristians, nimmt Situationen völlig anders wahr, was Kristian, der
das Beste will, in die Verzweiflung treibt.
Im Laufe des Romans erfährt der Leser Bruchstücke aus der
Kindheit und Beziehungserfahrung beider Partner. Kalinas Schwester leidet an
einer Boderline-Persönlichkeitsstörung. Und mehr und mehr drängt sich dem Leser
der Eindruck auf, dass Kalina ebenfalls daran erkrankt ist. Anders ist ihr
manipulatives Verhalten, das zwischen absoluter Nähe und Wegstoßen pendelt,
kaum zu erklären. Kristian fühlt sich als Opfer einer Form von emotionaler Beziehungsgewalt,
die als „Gaslighting“ bekannt ist (auch wenn dieser Begriff im Roman nicht
gebraucht wird).
Zweifellos ist Gaslighting dazu geeignet, jeden halbwegs
normalen Menschen in kürzester Zeit buchstäblich in den Wahnsinn zu treiben, da
er ständig in seiner eigenen Wahrnehmung der Dinge verunsichert wird. Aber da
ist noch eine Ebene. Denn wo ein Schlüssel ist, ist oft auch ein passendes
Schloss. Kristian erkennt zwar irgendwann, wie desolat sein Zustand in dieser
Beziehung ist. Es scheint ihm aber verborgen zu bleiben, dass er aufgrund
seiner eigenen Geschichte von Anfang an ein besonders leichtes Opfer für derartiges
Verhalten war. Schon zu Anfang des Romans nimmt er regelmäßig Antidepressiva,
ist emotional angeschlagen und hat ein von Grund auf erschüttertes
Selbstgefühl. Viel zu schnell projiziert er viel zu viel in diese Beziehung,
wirft sich hinein und drückt alle Anzeichen von Gefahr weg, so dass man ihm des
Öfteren zurufen möchte, „Wehr dich! Grenz dich ab! Mach das nicht mit!“. Die Frage
stellt sich, ob Kristian vielleicht schon vor dieser Beziehung an mehr als
einer Depression gelitten hat, an den Folgen einer komplexen Traumatisierung,
die möglicherweise auch bis in den Bereich einer Persönlichkeitsstörung reicht.
Das Thema dieses – teils autobiografischen - Romans ist wichtig.
Es ist wichtig öffentlich darüber zu sprechen, dass es emotionale Gewalt in
Beziehungen gibt, deren Opfer Männer genauso wie Frauen sein können. Es ist
ebenso wichtig über psychische Erkrankungen wie Borderline, Depression und die
Folgen von Traumatisierung zu sprechen, die viel zu oft in ihrer Tragweite
nicht erkannt und viel zu selten kompetent behandelt werden. Hätte der
Protagonist Kristian sich früher medizinische Hilfe geholt, wäre ihm das Desaster
dieser Beziehung möglicherweise erspart geblieben.
Eine völlig andere Frage ist jedoch, ob „Sandbergs Liebe“
ein gut geschriebener Roman ist. Ich muss an dieses Buch leider den Preis für
den schlimmsten Eröffnungssatz eines Romans aller Zeiten vergeben:
„Kalinas Antwort auf Kristian Sandbergs Frage, welches ihr Lieblingsbuch sei, verrät das Unheimlichste über sein Verschwinden wenige Monate nach dem viel zu heißen Spätsommer des Jahres 2016, in dem Paul Kalkbrenner vor siebzigtausend Besuchern die Headliner-Show auf dem Lollapalooza-Festival in Berlin gespielt hatte – bei Temperaturen knapp unter dreißig Grad, lange nach Einbruch der Dunkelheit.“ (S. 7)
Hätte ich dieses Buch zufällig in einer Buchhandlung
entdeckt und diesen Satz gelesen, hätte sich für mich jedes Weiterlesen
erübrigt. Insbesondere der Anfang des Romans erscheint sprachlich extrem holperig
und zerfahren. Es kommt kein Fluss in den Text. Erst als auf Seite 27 die
Vorgeschichte vorüber ist und die Geschichte in Richtung Kennenlernen von
Kalina steuert, bekommt die Erzählung zusammenhängenden Zug. Sprachlich besteht
ein solcher Bruch für mich, dass ich diese Vorgeschichte eher weggelassen
hätte. Sie ist am ehesten ein Bild für den gebrochenen Zustand, in dem Kristian
in die Beziehung zu Kalina hineingegangen ist, aber extrem anstrengend zu
lesen. Ich bin eine geübte Vielleserin, aber im ersten Teil musste ich auf
jeder Seite mehrfach anhalten und Sätze zwei- bis dreimal lesen. Auch danach
empfand ich den sprachlichen Stil als gewollt literarisch, mit zu komplizierten
Worten, die für die Handlung nicht notwendig waren. Allerdings ist der
Protagonist Kristian – wie der Autor Jan Drees selbst – beruflich im
Literaturbetrieb beheimatet, was dadurch möglicherweise ausgedrückt werden
sollte.
Ein Buch wie sein
Cover – grau und bleischwer – zu einem sehr wichtigen Thema.
Sandbergs Liebe, Jan Drees, Secession Verlag für Literatur
Zürich 2019, 190 Seiten, 20,00 EUR
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen