Anlässlich der Leipziger Buchmesse hatte ich die Gelegenheit
zu einem Besuch in der Leipziger Nationalbibliothek mit Führung. Die Bibliothek
besteht aus einem alten und mehreren neueren Gebäuden, da ihr Umfang täglich
wächst. Sie ist wirklich wunderschön und lohnt auf jeden Fall einen Besuch!
Aufgaben und
Entstehung
Die Deutsche Nationalbibliothek als Institution besteht heute
aus zwei Standorten, dem in Leipzig und einem weiteren in Frankfurt am Main.
(Die Frankfurter Buchmesse kommt bestimmt, so dass ich auch die zweite
Bibliothek besuchen kann.) Sie beschäftigt heute ca. 650 MitarbeiterInnen an
beiden Standorten zusammen. Gegründet wurde die Nationalbibliothek als „Deutsche
Bücherei“ 1912 in Leipzig. Warum eigentlich dort und nicht in Berlin? Leipzig
war damals schon eine bedeutende Buchstadt, in der fast 1.000 Buchhändler und Verlage
angesiedelt waren, nebst vielen Druckereien, Buchbindern etc.
Aufgabe der Deutschen Nationalbibliothek ist das Sammeln und
Bewahren deutschsprachiger Literatur ab dem 01.01.1913, also der in
Deutschland, Österreich und der Schweiz erscheinenden Druckerzeugnisse (Bücher,
Tageszeitungen, Zeitschriften, eBooks u.v.m.). Gesammelt werden darüber hinaus
Übersetzungen deutscher Bücher in andere Sprachen, im Ausland erscheinende
Germanica (fremdsprachige Bücher über Deutschland) und Literatur von deutschen
Emigranten der Jahre 1933 bis 1945. Die Bibliothek katalogisiert die
gesammelten Werke und macht sie der Öffentlichkeit zugänglich (reine
Präsenzbibliothek, Fernleihe nur im Ausnahmefall), wenn gleich die Archivierung
an erster Stelle steht.
Deutsche Teilung und
Verschlusssachen
Während der deutschen Teilung bestanden die Standorte in Ost
und West nebeneinander und sammelten alle Bücher doppelt. Sie tauschten sich
auch aus, so dass die im Osten erschienene Literatur im Westen und die
Westliteratur im Osten ankam. Wer sie allerdings im Osten zu lesen bekam, war
eine andere Frage. Große Teile wurden vor der Öffentlichkeit unter Verschluss
gehalten. Auch heute noch lässt die Bibliothek eine gewisse Vorsicht walten,
was die Herausgabe bestimmter Literatur an die Öffentlichkeit angeht. Werke aus
den Bereichen Faschismus sowie Erotik / Pornografie können nur zu (nachgewiesenen)
wissenschaftlichen Zwecken eingesehen werden. Die gesamte Bibliothek darf nur
von volljährigen Personen benutzt werden. Die Benutzung – auch die Führungen
sowie museumspädagogische Angebote für Kinder - ist für jedermann kostenlos.
6.000 Neueingänge pro
Tag
Es ist schier überwältigend sich vorzustellen, welche Menge
an Neueingängen die Bibliothek täglich zu verarbeiten, also im Katalog zu
erfassen und zu archivieren hat. Täglich erreichen 1.500 Printmedien die
Bibliothek, hinzu kommen 4.500 Onlinepublikationen – am Tag! Da verwundert es
nicht, dass zu dem historischen Gründungsgebäude inzwischen vier
Erweiterungsbauten errichtet wurden und ein fünftes bereits in Planung ist. Die
Bibliothek kauft nicht den gesamten Bestand. Jeder Verleger ist gesetzlich verpflichtet, kostenlos und unaufgefordert zwei Pflichtexemplaren
jeder Publikation, eins für Leipzig und eins für Frankfurt, bei der Bibliothek abzuliefern.
Architektur
Das historische Gebäude am Deutschen Platz in Leipzig grüßt
den Besucher schon von außen mit goldverzierten Flügeltüren und an der Fassade
angebrachten Statuen bedeutender Dichter und Denker, u.a. Goethe und Bismarck.
Im Foyer befinden sich vier farbige Mosaiken von Frauen, z.B. die Lesende und
die Schreibende. (Warum lesende Frauen oft nackt dargestellt werden, verstehe
ich allerdings nicht.)
Lesesaal von 1916 |
Besonders sehenswert sind die beiden älteren Lesesäle des
historischen Altbaus. Die Säle sind nach Sachgebieten aufgeteilt. Der älteste
Saal stammt von 1916 und beeindruckt durch wunderschöne dunkle Holztische und –stühle.
An jedem Leseplatz sorgt eine grüne Bibliotheksleuchte für genügend Licht. Der
Buchbestand ist in Regalen an den Wänden und auf einer herrlich knarzigen Galerie
mit Holzaufgängen und –geländern aufgestellt. Einmal in diesem Saal über Nacht eingeschlossen
werden und ihn ganz für sich haben … das wäre ein Traum!
Bauhaus-Lesesaal von 1937 |
Ebenfalls wunderschön, aber von ganz anderem Charme ist der
Bauhaus-Lesesaal von 1937 in Weiß, Schwarz und Chrom. Historische Freischwinger
stehen vor schlichten hellen Tischen mit Chrombeinen, dazu eine schwarze
Leuchte an jedem Platz. Auch hier erhebt sich eine Galerie über den Saal,
abgegrenzt mit Chromgeländer und Regalbeschriftungen aus Metallbuchstaben. Sogar
einen alten Zettelkastenkatalog hat man aus historischen Gründen darin stehen
lassen, obwohl der Bibliotheksbestand natürlich längst digital katalogisiert
ist. Einfach schön!
Ganz nüchtern und funktional nimmt sich dagegen der dritte
Lesesaal aus den 1960er Jahren, also der DDR-Zeit aus. Er erinnert eher an ein
Klassenzimmer mit sehr einfachen Tischen und Stühlen ohne schmückendes Beiwerk
oder Leseleuchten. Er erfreut sich deutlich geringerer Leserzahlen, die sich
durch den nachträglichen Einbau von Steckdosen an den Leseplätzen für Laptops auch
nur geringfügig erhöhten. Kein Wunder, wenn zwei solche Schmuckstücke von Lesesälen
gleich nebenan zur Verfügung stehen.
Vierter Erweiterungsbau |
Ausgeklügelt erscheint der vierte Erweiterungsbau der
Bibliothek. Er sieht passenderweise von außen aus wie ein liegendes Buch! Die Fenster
sind in verschiedenen Schattierungen gefärbt. Ordnet man jeder Farbe einen Ton
zu, ergibt sich aus der Abfolge die vierte Goldberg-Variation von Bach. Die Stadt
ehrt damit das Wirken Bachs in Leipzig und weist mit der Zahl vier auf den
vierten Erweiterungsbau der Bibliothek hin.
Die Bibliotheksbauten sind unterkellert, um weiteren
Archivraum zu schaffen und durch unterirdische Gänge miteinander verbunden. Eine
elektrische Buchförderanlage transportiert Wannen mit Büchern vom Magazin zur
Buchausgabe. Der Keller birgt außer Büchern noch andere Schätze, etwa alte
Druckmaschinen, Schreibmaschinen oder Maschinen zur Herstellung von
Drucklettern. Diese werden zu besonderen Gelegenheiten sogar in Betrieb genommen.
Deutsches Musikarchiv
Inzwischen ist das Deutsche Musikarchiv Teil der
Nationalbibliothek, so dass auch Schallplatten, CDs, Noten und dergleichen
gesammelt werden. Es gibt einen hoch modernen Musiklesesaal, in dem vier Plätze
mit Digitalklavieren vorhanden sind, an denen über Kopfhörer die angeforderten
Noten direkt gespielt werden können. Natürlich gibt es auch Hörkabinen, in
denen man alle Tonträger anhören kann. Das Archiv verfügt über alte Grammophone,
mit denen man sogar Schellackplatten anhören kann. Allerdings darf man diese
nicht selbst auflegen, sondern sie werden von Mitarbeitern in die Kabine
eingespielt.
Deutsches Buch- und
Schriftmuseum
An die Bibliothek angeschlossen und im vierten
Erweiterungsbau beheimatet ist das Deutsche Buch- und Schriftmuseum. In diesem
kann der geneigte Besucher – ebenfalls kostenlos - verfolgen, wie aus
Keilschrift und in Stein gehauenen Buchstaben langsam Schriftrollen, Inkunabeln
und schließlich gedruckte Bücher entstanden, und wie sich die Entwicklung seitdem
weiter vollzog bis hin zum eBook. Das Museum verfügt damit über deutlich ältere
Exponate als die von der Bibliothek seit 1913 gesammelten Werke. Wie schade,
dass der Messetag schon lang gewesen und Kopf und Füße langsam müde waren. Im
Museum hätte es noch so viel zu sehen gegeben. Ich muss wiederkommen!
Ich danke der Deutschen Nationalbibliothek für die
freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung meiner Fotos, sowie für die
kurzweilige und informative Führung, bei der unsere Führerin unermüdlich
sämtliche Fragen so kompetent und nett beantwortet hat. Es hat viel Spaß
gemacht!
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