Donnerstag, 28. März 2019

Asymmetrie, Lisa Halliday

Der Debütroman von Lisa Halliday hat viele Ebenen, die sich wohl erst nach mehrmaligem Lesen voll erschließen lassen. Da ist zunächst einmal die vordergründige Ebene der Geschichten. Das Buch besteht aus drei sehr ungleichen Abschnitten.

Im 1. Teil „Verrücktheit“ erzählt Halliday die teilweise autobiografische Geschichte einer ungleichen Liebesaffäre. Mitten in New York lernt die Anfang Zwanzigjährige Alice den berühmten jüdischen Schriftsteller Ezra Blazer von Ende Sechzig kennen. Sie arbeitet in einer großen Literaturagentur, erkennt ihn sofort, und lässt sich auf eine Beziehung ein, in der er stets den Ton angibt. Seine Initiative bestimmt, wann ein Treffen stattfindet und wie lange es dauert. Seine zunehmenden körperlichen Gebrechen bestimmen, was sexuell möglich ist. Die Geschichte basiert auf der – im amerikanischen Literaturmilieu seit einiger Zeit bekannten – Tatsache, dass Halliday eine Affäre mit dem gefeierten Schriftsteller Philip Roth hatte, welcher im Mai 2018 im Alter von 85 Jahren verstorben ist.

Dann folgt unvermittelt Teil 2 des Romans, „Wahnsinn“, mit völlig anderen Schauplätzen und Personen. Wir lernen den jungen Kurden Amar kennen, der in einem Flugzeug zwischen dem Irak und den USA geboren wurde und mit seiner im Irak lebenden Familie als Teenager in die USA emigriert ist. Sein Leben und Aufwachsen zwischen zwei Kulturen wird in Rückblenden geschildert, während er auf der Durchreise auf dem Weg in den Irak am Londoner Flughafen Heathrow viele Stunden lang festgehalten und an der Einreise nach London gehindert wird. Er hat erlebt, wie stark sich der Irak nach dem Einmarsch der Amerikaner und dem Irakkrieg verändert hat. Er lebt außerhalb, hat aber Kenntnisse vom Leben innerhalb des Irak, da sein Bruder nach wenigen Jahren ohne seine Familie in den Irak zurückgekehrt war, um dauerhaft dort zu bleiben.

„Das musste man sich im befreiten Bagdad unter Optimismus vorstellen: den leicht morbiden Gedanken, dass es ja nicht bis in alle Ewigkeit so entsetzlich weitergehen konnte.“ (S. 262)

Wieder folgt ein Bruch hin zum kurzen 3. Teil des Romans, „Ezra Blazer bei Desert Island Discs“. Desert Island Discs ist eine populäre Radiosendung der BBC, in der ein Prominenter sieben Platten bzw. Musikstücke spielen darf, die er als Schiffbrüchiger mit auf eine einsame Insel nehmen würde. Hierbei schildert der Gast, wie ihn die ausgewählten Stücke in seinem Leben geprägt haben. In diesem Fall wird ein fiktives Interview mit dem Schriftsteller Ezra Blazer wiedergegeben, den wir aus dem ersten Teil des Romans kennen.

Zwischen den drei Teilen des Romans gibt es Verbindungen auf einer tiefer liegenden Ebene. Die junge Frau Alice möchte gern Schriftstellerin werden und bespricht dies auch mit dem großen Literaten Ezra Blazer. Der ist – etwas selbstverliebt – der Meinung, dass die Beziehung zwischen Alice und ihm doch einen geeigneten Stoff abgeben würde. Aber das ist Alice zu wenig. Sie lernt gern von dem erfahrenen Autor, der ihr Bücher der Weltliteratur zu lesen gibt, will aber über eine Klatschgeschichte über ihre Beziehung hinaus wachsen. Ebenso wie Lisa Halliday.

„Alice für ihren Teil begann ziemlich ernsthaft darüber nachzudenken, ob ein ehemaliges Chormädchen aus Massachusetts wohl in der Lage wäre, sich in die Gedankenwelt eines männlichen Muslims hineinzuversetzen, als sich Ezra wieder an sie wandte und sagte: ‚Mach dir um wichtig oder unwichtig keine Gedanken. Wenn etwas gut gemacht ist, gewinnt es ganz von allein Bedeutung. (…)‘“ (S. 86)

Und siehe da, offenbar ist eine junge Frau dazu in der Lage, das Weltgeschehen, den Irakkrieg und die Globalisierung aus Sicht eines jungen muslimischen Mannes zu schildern, was im zweiten Teil des Romans geschieht und aus meiner Sicht sehr authentisch gelingt.

Zum Abschluss, nach den ersthaften Themen von Krieg und Identität, plaudert der alternde Schriftsteller Blazer mit einer jungen Radiomoderatorin über sein Leben und Lieben, und verpasst es nicht, diese – ähnlich wie Alice zu Beginn des Buchs – während laufender Sendung flirtend zu umwerben, einfach weil er es kann. Er scheint eine neue junge Muse ins Auge gefasst zu haben, der er die Welt erklären will.

Der Roman zeichnet sich durch eine Vielfalt von Sprachstilen aus und lebt von seinen Perspektivwechseln. Die Geschichte um die junge, unbekümmerte Alice spielt ganz in der Gegenwart, sprudelt in witzigen Dialogen und Situationen hervor, als würde die junge Frau im Sonnenschein durch den Central Park hüpfen. Insider sagen, dass sie dabei viel intime Kenntnis über Philip Roth hervorblitzen lässt. Letzterer hat das Manuskript dieses Romans wohl vor der Veröffentlichung amüsiert gelesen und für gut befunden.

Ganz anders kommt der zweite Teil daher, in dem der Erzähler in Ich-Form berichtet und zwischen Gegenwart und Rückblende wechselt. Ein ernsthafter Student, der sich Gedanken um seine Herkunft, seine Zukunft und seine Rolle im Konflikt zwischen West und Ost macht, begegnet uns. Die politische Entwicklung im Irak bildet sich in seinem persönlichen Leben ab. Er erlebt das Verschwinden Familienangehöriger, den Rassismus am Flughafen Heathrow und bei Besuchen das bedrückende Umfeld des kriegszerstörten, unsicher gewordenen Iraks, der einmal seine Heimat war. Genau wie Alice wird Amar von Literatur beeinflusst. In beiden Romanteilen werden Zitate berühmter Autoren diskutiert und überdacht.

Im dritten Teil dann folgt die Interview-Form, also fast reiner Dialog. Kenner von Philip Roth meinen, sein Tonfall sei von der Autorin sehr gut getroffen worden. Nachdem man den zweiten Teil des Romans gelesen hat, merkt man, dass Alice offenbar über den Status der Muse deutlich hinausgewachsen ist.

Ein sehr lohnender Roman, der von heiter bis nachdenklich alle Facetten bietet.

Asymmetrie, Lisa Halliday, aus dem Englischen von Stefanie Jacobs, Carl Hanser Verlag München 2018, 320 Seiten, 23,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags.)

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