In „Drive my car“ nimmt sich der Schauspieler Kafuko eine
Chauffeurin, als er seinen Führerschein verliert. Die ungewöhnliche und
schweigsame junge Frau regt ihn schließlich zum Reden an. Er hat einen sehr
unorthodoxen Weg eingeschlagen damit umzugehen, dass seine Frau ein Verhältnis
hatte und nun gestorben ist.
In „Yesterday“ möchte ein verpeilter Student seine Freundin
dadurch behalten, dass er sie dazu ermutigt, mit seinem Freund auszugehen.
Der Schönheitschirurg Dr. Tokai ist davon überzeugt, dass
Frauen ein „eigenständiges Organ“ zum Lügen haben, das Männern fehlt. Sein
Liebesleben ist vielfältig und unkompliziert und er alles andere als eifersüchtig.
Bis etwas passiert, das ihn in Selbstzweifel und zerstörerische Wut stürzt.
Habara kann das Haus nicht mehr verlassen. Zum Glück kommt
seine eigene „Scheherazade“ regelmäßig zu Besuch, die ihm Lebensmittel bringt
und mit der er das Bett teilen kann. Am Wichtigsten jedoch ist ihm, dass sie
ihm jedes Mal wunderbare Geschichten erzählt, durch die beide eine ganz eigene
Intimität teilen.
In „Kinos Bar“ kommen nicht viele Menschen, aber doch einige
Stammgäste. Die Atmosphäre ist sehr einfach und ruhig. Eine streunende Katze
fühlt sich dort ebenso wohl wie eine misshandelte Frau. Kino hat die Bar nach
der Trennung von seiner Frau eröffnet. Auf einmal scheint es an der Tür zu
klopfen, und zwar mit einer Intensität, die Kino nicht ignorieren kann. Nur
dass es nicht die Tür ist, an der geklopft wird.
Besonders eindrucksvoll und gelungen finde ich die
Geschichte „Samsa in Love“. In dieser dreht Murakami Kafkas „Die Verwandlung“
einfach um. Eines Morgens erwacht jemand in einem Bett und weiß, dass er ein Mensch
namens Gregor Samsa ist. Wie ein Mensch sich bewegt oder anzieht, wer oder was
er vorher gewesen ist, weiß er jedoch nicht. Sich auf nur zwei Beinen
fortzubewegen, erscheint ihm mühsam und absurd. Und dann begegnet ihm auch noch
eine Frau.
„Was für ein missgebildeter Körper, dachte Samsa unwillkürlich, als er seine Nacktheit betrachtete und die nicht sichtbaren Stellen mit den Händen abtastete. Nicht nur missgebildet. Auch viel zu wehrlos. Glatte weiße Haut (nur der Form halber mit etwas Haar bedeckt), ein völlig ungeschützter weicher Bauch, (…) War das wirklich er? Hatte er mit einem so verletzlichen Leib (unbewaffnet und ohne schützenden Panzer) überhaupt eine Überlebenschance?“ (S. 210)
Einen fulminanten Abschluss bildet sodann die letzte Geschichte
„Von Männern, die keine Frauen haben“. Der Erzähler wird durch einen
nächtlichen Telefonanruf geweckt.
„Die tiefe Stimme eines Mannes teilte mir mit, dass eine Frau diese Welt für immer verlassen hatte. Der Besitzer der Stimme war ihr Mann. Zumindest gab er sich als dieser aus.“ (S. 237)
Durch diesen Anruf und den Verlust der ihm bekannten Frau
lernt der Protagonist, was Einsamkeit bedeutet. Er ist selbst verheiratet,
seine Frau liegt neben ihm. Und dennoch begreift er in dieser Minute, was es
bedeutet, zu den Männern zu gehören, die keine Frauen haben. Ein Gefühl, das
ihm und den anderen Männern dieser Gruppe lebenslang anhaften wird wie ein
Geruch. Sprachgewaltig und eindrucksvoll beschreibt Murakami dieses schlimmste
aller männlichen Gefühle.
Die Abfolge der sieben Geschichten baut eine Spannung auf,
hin auf die beiden erzählerischen Höhepunkte am Schluss. Die Abwandlung des Verwandlungs-Motivs
ist eine literarische Meisterleistung, die an Kafkas Original heran reicht. Und
die letzte Geschichte wirkt wie eine Zusammenfassung des Einsamkeits- und
Verlustempfindens aller im Buch vorkommenden Charaktere. Ein universelles
Gefühl in beeindruckende Worte gefasst.
Das Buch ist ein
echter Murakami, gewitzt, teilweise surreal, verschroben und skurril. Schade,
dass nicht jede Geschichte ein Roman ist, dann wären sie noch schöner.
Von Männern, die keine Frauen haben, Haruki Murakami, aus
dem Japanischen von Ursula Gräfe, btb Verlag München 2016, 254 Seiten, 10,00
EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher
Erlaubnis des Verlags.)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen