Darüber hinaus hat dieses ungeborene Kind mehr Fähigkeit zur
Reflexion der Welt und des eigenen Ich als die erwachsenen Beteiligten der Geschichte.
Er sieht klar seine Abhängigkeit von der ihn austragenden Mutter, auch nach der
bevorstehenden Geburt, die ihm bewusst ist. Seine Liebe zur Mutter ist getrübt
von seinem kritischen Blick auf ihre Schwächen. Der Kleine weiß ferner, welcher
der auftauchenden Männer sein Vater ist und empfindet Loyalität mit diesem. Gleichzeitig
hält er ihn aber auch für einen ziemlichen Schwächling.
Die Geschichte, die uns aus dieser skurrilen Perspektive
erzählt wird, ist ein in London spielendes Beziehungsdrama im Dreieck, das sich
zu einem echten Krimi entwickelt. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten. Das
Kind ist jedoch nicht nur Beobachter der Geschehnisse, sondern fühlt sich
zugleich als Handelnder – obwohl er sich seines beschränkten Aktionsradius‘ aus
dem enger werdenden Uterus heraus durchaus bewusst ist.
So gut die Grundidee dieser Erzählweise ist, so wenig hat
sie mich mitreißen können. Die Idee ist originell, trägt aber nur die ersten
paar Seiten lang. Die Dreiecksgeschichte ist nicht ohne Spannung, jedoch hätte
es nach meinem Empfinden weiterer Finessen bedurft, als nur dieser
ungewöhnlichen Perspektive allein. Immer wieder erinnert uns der Autor an die
Position des Erzählers im Mutterleib, indem er das Kind Zeuge von Geschlechtsakten
der Mutter werden lässt, die buchstäblich nur Zentimeter von seinem Köpfchen entfernt
stattfinden. Die Idee wurde aus meiner Sicht etwas überstrapaziert.
Der Roman ist unterhaltsam, auch spannend, aber der Altherrenton
dieses verkopften Embryos voll Selbstmitleid ging mir bald auf die Nerven. Meine
Sympathie hat der Junge das ganze Buch hindurch nicht gewonnen (was wohl auch
nicht gewollt ist). Als der Kleine hört, dass jemand der Mutter vorschlägt, das
Baby nach der Geburt wegzugeben, ist er nicht nur empört, sondern malt sich
seine Zukunft in der Londoner Unterschicht zynisch-wissend wie folgt aus:
„Raised bookless on computer toys, sugar, fat and smacks to the head. Swat indeed. No bedtime stories to nourish my toddler brain’s placticity. The curiosityfree mindscape of the modern English peasantry. (…) Poor me, poor buzz-cut, barrel-chested three-year-old boy in camouflage trousers, lost in a haze of TV noise and secondary smoke. His adoptive mother’s tattooed and swollen ankles totter past, followed by her labile boyfriend’s pungent dog.” (S. 43/44)
Ein netter
Unterhaltungsroman, der meinen Geschmack aber leider nicht getroffen hat.
Nutshell, Ian McEwan, Vintage Verlag London 2017, 199
Seiten, englischsprachige Ausgabe
Zusatz-Info: Das Buch ist in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Nussschale" im Diogenes Verlag 2018 als Taschenbuch für 12,00 EUR erschienen.
Zusatz-Info: Das Buch ist in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Nussschale" im Diogenes Verlag 2018 als Taschenbuch für 12,00 EUR erschienen.
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