Less, dessen Name nicht zufällig auch „weniger“ bedeutet,
hält sich für einen mittelmäßigen Autor, einen alternden Liebhaber und wirft
sich vor, im Leben die falschen Entscheidungen getroffen zu haben, vor allem in
der Liebe. Je nach Anlass schlüpft er in unterschiedliche Rollen und definiert
sich gern über seinen leuchtend blauen Anzug, ohne den er quasi „nicht
existiert“, wie er meint. Homers Odyssee fasziniert ihn, er versucht sich an
einer schwulen Version von Ulyssees, denn er selbst ist ebenfalls auf einer
langen Reise zu sich selbst. Wer ist er ohne seinen Anzug, ohne seinen
Lebenspartner, abseits seines Heimatlandes, dessen Sprache und Gewohnheiten ihm
vertraut sind? Wieso wird ihm vorgeworfen, ein „schlechter Schwuler“ zu sein? Leben
die anderen wirklich ein so viel besseres Leben? Und was soll nach der großen
50 kommen?
Arthur Less‘ Dilemma zeigt sich sogar in seinen Träumen. Einen
davon gibt er – Bier in der Hand – auf einer Party zum Besten (S. 211):
„And I keep riding through this dark wood (…). And a farmer is there, and he waves at me, and he says sort of the same thing. ‘More important things ahead for you!’ (…) I ride up the mountain, and at the top is a cave and a priest – you know, like in a cartoon. And I say I’m ready. And he says for what? And I say to think about more important things. And he asks, ‘More important than what?’ ‘More important than love.’ And he looks at me like I’m crazy and says, ‘What could be more important than love?’”
Less flüchtet einmal rund um den Globus, nur um zu erkennen,
dass er seine Vergangenheit nicht abschütteln kann, ebenso wenig wie das Rätsel
um die eigene Identität, die eigenen Werte. Erst zum Schluss des Buches wird
klar, wer diese Geschichte von Less erzählt und dass auch ganz andere
Sichtweisen möglich sind.
Das Buch liest sich flüssig und abwechslungsreich, auch
durch die häufigen Ortswechsel, ist spannend und komisch. Der etwas kauzige
Less wächst dem Leser schnell ans Herz, wie er etwas tollpatschig von einer Situation
in die nächste schlittert. Dabei nimmt er natürlich das eine oder andere
Fettnäpfchen mit, kann aber durchaus über sich selbst lachen. Auch die ihm
begegnenden Personen sind liebenswert-skurril, wie im Leben eben.
Der Roman erscheint teilweise autobiografisch. Der Autor
Andrew Sean Greer ist etwa im gleichen Alter wie sein Protagonist Less und lebt
wie dieser mit seinem Ehemann in San Francisco. Stationen des Romans scheinen
dem Leben des Autors nachempfunden zu sein. So war Greer z.B. Gastdozent an der
Freien Universität Berlin, Finalist für einen Literaturpreis in Italien für die
italienische Übersetzung eines seiner Bücher und hat auch die anderen im Buch
auftauchenden Länder selbst bereist. Eine schöne Wendung ist, dass im Roman ein
früherer Lebenspartner von Arthur Less für sein Werk den Pulitzer Preis gewinnt,
den auch Andrew Sean Greer 2018 für dieses Buch gewonnen hat.
Eine unterhaltsame Tour
de Force durch die Welt und das Leben, mitreißend und heiter, aber alles andere
als flach. Ich habe es verschlungen!
Less,
Andrew Sean Greer, Back Bay Books / Little, Brown and Company New York 2018, 261
Seiten, englischsprachige Ausgabe
Zusatz-Info: Das Buch ist in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Mister Weniger" im S. Fischer Verlag 2018 als gebundene Ausgabe für 26,00 EUR erschienen.
Zusatz-Info: Das Buch ist in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Mister Weniger" im S. Fischer Verlag 2018 als gebundene Ausgabe für 26,00 EUR erschienen.
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