Freitag, 22. Februar 2019

Des Lebens fünfter Akt, Volker Hage


Arthur Schnitzler war ein österreichisch jüdischer Schriftsteller und Dramatiker, dessen Werke zu seinen Lebzeiten zu den meistgespielten Stücken auf deutschsprachigen Bühnen gehörten. Aus einer Arztfamilie stammend war auch er Mediziner, gab seine Praxis aber schließlich zu Gunsten der Schriftstellerei auf. Dem fünften und letzten Akt seines Lebens in Wien, nämlich den Jahren 1928 bis 1931 widmet sich dieser biografische Roman.

Die Erzählung setzt an einem Wendepunkt in Schnitzlers Leben ein. Das einschneidendste Ereignis seiner letzten Lebensjahre war der tragische Selbstmord seiner erst 19jährigen, frisch verheirateten Tochter Lili, den er nie hat verwinden können. Besonders dieser schmerzliche Verlust – aber nicht nur dieser – ließ ihn die Nähe zu seiner geschiedenen Frau Olga suchen. Diese drängte bis zum Lebensende Schnitzlers darauf, wieder mit ihm zusammen zu leben, was Schnitzler jedoch ablehnte.

Im Alter von Ende Sechzig wiederholte Schnitzler noch immer das ewig gleiche Beziehungsmuster, welches sich durch sein Leben zog. Er fühlte sich stets von vielen Frauen erotisch angezogen, besonders von solchen, die deutlich jünger waren als er, ihn bewunderten und anschwärmten. Klug sollten sie sein, so dass sie sein schriftstellerisches Werk beurteilen konnten. Er gab ihnen seine Entwürfe zu lesen, baute auf ihre Ermutigung und ihren Rat. Verbindlichkeit war jedoch seine Sache nicht. Auch wenn er eine langjährige Ehefrau bzw. Lebensgefährtin gehabt hat, gab es daneben stets Affären, dauerhafte und kurzlebige. Eine Einschränkung seiner Freiheit konnte er nicht ertragen. Erwartungen wollte er nicht erfüllen, verlangte umgekehrt jedoch Treue und Hingabe von seinen Partnerinnen. Stets hielt er seine Affären vor den anderen Frauen geheim, schreckte auch vor Lügen und falschen Liebesschwüren nicht zurück, um die Frauen zu halten.

Tragisch an dieser Lebensweise war, dass sie sowohl Schnitzler als auch die betroffenen Frauen zuweilen sehr unglücklich gemacht hat. Manche der Frauen hätten sich auch auf eine offene Beziehung eingelassen, aber nur unter der Bedingung absoluter Offenheit. Gerade das wollte Schnitzler jedoch nicht. Wollten sich die Frauen von ihm trennen, weil er sie lieblos behandelte, geistig abwesend und stets in seine Arbeit vertieft war und sie ständig hinterging, so konnte er dies nie geschehen lassen. Er war abhängig von ihrer (von ihm meist nicht erwiderten) Liebe, ihrer ständigen Verfügbarkeit und der Selbstbestätigung, die sie ihm gaben. Zu groß waren seine Selbstzweifel, Einsamkeit und Depression, vor allem nach dem Tod der geliebten Tochter.

Der Roman zeichnet das Bild eines innerlich zerrissenen Mannes mit starkem Kontrollbedürfnis, der ständig zwischen mehreren Frauen steht und sich vollends darüber bewusst ist, was er ihnen mit seinem Verhalten antut. Er bemerkt sogar, dass sein Festhalten an längst quälend gewordenen Beziehungen voller gegenseitiger Vorwürfe und Leid ihm selbst schadet. Dennoch schafft er es meist nicht, sich zu trennen oder eine Frau gehen zu lassen, weder seine geschiedene Ehefrau Olga, noch seine langjährige Lebensgefährtin Clara. Er findet stets Entschuldigungen für sein Verhalten, nicht zuletzt dass er seine Beziehungserfahrungen in seinen Novellen und Dramen verarbeitet.
„Die Verbindung mit Clara hatte er sich leicht vorgestellt, frei von Konflikten, als ‚verantwortungslos und bequem‘, wenn er seinem damaligen Tagebuch trauen durfte. ‚Man könnte sich eine angenehmere Beziehung kaum denken‘, stand da. Freilich auch: ‚Aber in der Tiefe ist sie ziemlich hart, egoistisch, und ein bisschen snob.‘ Das war lange her.“ (S. 129)
„Aber war, fragte er sich insgeheim, seine Haltung wirklich so eindeutig? Wenn Clara ganz offen von ihrer Eifersucht sprach, hörte er es zumindest nicht ungern. Er musste sich eingestehen, dass er auf ihre Liebe weiterhin baute. Er wollte Clara loswerden, aber nicht loslassen.“ (S. 214)

Diese stark psychologische Auseinandersetzung mit Schnitzlers schwieriger Persönlichkeit wird erzählt vor dem Hintergrund des Wiens zwischen den Weltkriegen. Die Schilderung von Zeppelinflügen oder der neuartigen Möglichkeit zu telefonieren macht die Erzählung sehr plastisch. Natürlich spielt auch der erstarkende Faschismus eine Rolle sowie die in den 1920er Jahren aufkeimende neue Unabhängigkeit der Frauen. Schön ist, dass wir im Roman auch den Zeitgenossen Schnitzlers begegnen, mit denen er verkehrte, etwa Hugo von Hofmannsthal oder Siegmund Freud.

Beachtlich ist die immense Rechercheleistung des Autors. Große Teile des Buches zitieren Briefe und Tagebücher Schnitzlers sowie auch dessen Werke und binden diese in die Dialoge ein. So wirkt das Bild Schnitzlers sehr glaubhaft und authentisch.

Erschütternd ist die Egozentrik und Rücksichtslosigkeit Schnitzlers, der es in jüngeren Jahren selbst als Arzt in seiner Praxis nicht unterlassen hat, Patientinnen „zu verführen“, man würde heute sagen zu missbrauchen. Die Vehemenz seiner Lügen den Frauen gegenüber, deren völlige Selbstaufgabe und Zerstörung bis hin zum Selbstmord er in Kauf genommen hat, von Frauen, die leicht seine Töchter hätten sein können, stimmt nachdenklich – zumal auch die Frauen offenbar nicht die Kraft gefunden haben, ihrem Leiden ein Ende zu machen und den charmanten, aber eifersüchtigen und fordernden Geliebten zu verlassen. Erstaunlich ist, dass Schnitzler dieses Lebensmodell Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Wiener Gesellschaft leben konnte. Bedenkenswert ist, dass auch heute dieses Muster alles andere als ausgestorben ist.

Ein nachdenklich stimmendes, facettenreiches Portrait eines berühmten Mannes, das sich gut liest und beeindruckend recherchiert ist.

Des Lebens fünfter Akt, Volker Hage, Luchterhand Literaturverlag München 2018, 318 Seiten, 20,00 EUR

(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Verlag für das kostenlos zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.)

Zusatz-Info: Wer sich auf heitere Weise mit der Welt Schnitzlers ab ca. 1910 beschäftigen möchte, dem seien die Romane von Petra Hartlieb ans Herz gelegt, in denen sie diese aus Sicht eines fiktiven Kindermädchens im Haushalt der Schnitzlers schildert. Erschienen sind bislang „Ein Winter in Wien“ (Rowohlt Verlag Reinbek 2016) und „Wenn es Frühling wird in Wien“ (DuMont Buchverlag Köln 2018). Am 17. Mai 2019 wird der 3. Band „Sommer in Wien“ (DuMont Buchverlag Köln) erscheinen. Petra Hartlieb und Volker Hage kennen sich und haben sich über ihre Recherchen zum Thema Schnitzler ausgetauscht.

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