Ihr Vertreter an der Universität, ebenfalls Literaturprofessor und unser Erzähler, öffnet deshalb das Päckchen, in dem sich ein merkwürdiges, vor Dreck starrendes Buch mit aufgequollenen Seiten befindet. Es ist schon einmal um die halbe Welt gereist, nur um jetzt zurück nach England zu kommen. Der geheimnisvollen Widmung darin muss der aus Buenos Aires stammende Erzähler einfach nachgehen, dem Andenken an seine geschätzte Kollegin zuliebe, und begibt sich auf eine Reise nach Südamerika. Dort trifft er auf Buchkenner, Buchhändler und Buchverrückte, die ihm bei der Aufklärung der Frage helfen, welchen Weg das Buch genommen hat, wer dessen Absender ist und welche Geschichte dahinter steckt. Allen Charakteren des Buches ist der Glaube daran gemein, dass Bücher das Schicksal von Menschen verändern.
Das Schönste an dieser Erzählung ist ihre Sprache, die einen
sofort abtauchen lässt. Die fantasievolle und geistreiche Ausdrucksweise webt
den Leser hinein in die kühle Universität in Cambridge, und dann bald in die
bunte, lebendige Welt von Buenos Aires und Montevideo. Dabei geht es immer um
Literatur und Bücher, welche Freude und Last zugleich sein können. Ergänzt wird
der Band durch wenige wohlplatzierte, meist in rot gedruckte Zeichnungen der im
Buch auftauchenden Buchmotive.
„‘Ein Buch kann noch so neu sein und sein Papier noch so weiß, im Kerzenlicht wird es von einer Patina überzogen und offenbart Nuancen von großem Reiz. Und erst die Korridore, welch ein Genuss!‘‚Welche Korridore?‘, fragte ich verwirrt.‚Sehen Sie, darum rankt sich eine alte Diskussion. Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob sie dem Talent des Autors oder dem Wert der Ausgabe zuzuschreiben sind. Da gehen die Meinungen auseinander. Aber vielen Lesern genügt es, die Korridore anzuschauen, um zu wissen, ob ein Buch gut ist und eine Lektüre sich lohnt.‘“ (S. 53)
Durch diese Unterhaltung lernt unser Erzähler die Korridore
kennen, „die durch die Wortabstände entstehenden vertikalen oder diagonalen
Strecken“ (S. 54) auf einer Buchseite. Ob sie von Bedeutung sind, wer weiß? Aber
sie machen Freude, ebenso wie das Lesen bei Kerzenschein (natürlich nur wenn
das Buch vor der Erfindung des elektrischen Lichts geschrieben wurde) oder die
Untermalung der Lektüre durch die passende Musik, die sogar schlechte Prosa
aufzuwerten vermag, wie mancher meint. Des Rätsels Lösung fällt da kaum noch
ins Gewicht, wenn schon der Weg dorthin so schön geschildert wird.
Eine Erzählung, die
uns auf den Flügeln der Imagination zu einer Lesereise fortträgt und in
wunderschöner Sprache schwelgen lässt, bis die Kerze herunter gebrannt ist.
Schön!
Das Papierhaus, Carlos María Domínguez, aus dem Spanischen
von Elisabeth Müller, mit Illustrationen von Jörg Hülsmann, Insel Verlag Berlin
2018, 92 Seiten, 8,00 EUR
(Die Verwendung des Coverbildes erfolgt mit freundlicher
Erlaubnis des Verlags. Ich danke dem Insel Verlag für das kostenlos zur Verfügung
gestellte Rezensionsexemplar.)
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